Freitag, 23. Dezember 2022
Die besten Filme und Serien, die ich 2022 gesehen habe
pierre-philippe scharf, 11:10h
Die Filme und Serien müssen nicht 2022 erschienen sein, ich muss sie lediglich 2022 zum ersten Mal gesehen haben.
Filme:
Ich habe dieses Jahr 141 Filme geschaut.
Filme, die es nicht in die Top 5 geschafft haben, aber trotzdem gut sind:
HUSTLE (2022) 4 Punkte (Netflix)
Adam Sandler ernst > Adam Sandler lustig
LITTLE WOMEN (2019) 4 Punkte (Aktuell auf Netflix)
Gute Story, Gute Schauspieler, Gute Kostüme
CHA CHA REAL SMOOTH (2022) 4 Punkte (AppleTV+)
Dakota Johnson zum verlieben
KING RICHARD (2021) 4 Punkte (Aktuell auf Netflix)
Sportlich, toxisch, ikonisch
PROMISING YOUNG WOMAN (2020) 4 Punkte (Aktuell auf WOW)
Wie gut willst du ein Drehbuch schreiben? Ja.
5. THE HAND OF GOD (2021) 4 Punkte
Ein italienischer Netflix-Film, der für den Auslands-Oscar nominiert war. Der Film kommt nur über seinen Vibe und die Figuren. Der Titel ist von Diego Armando Maradona herzuleiten, der mit seinem Tor mit der Hand, die Hand Gottes geschaffen hat. Genau in dieser Zeit spielt dieser Film. 80er Jahre in Neapel und Maradona, der große, gottähnliche Maradona wechselt zum SSC Neapel. Kein Film für jeden, aber schöne Bilder und etwas Coming of Age. (Netflix)
4. BAD TIMES AT THE EL ROYALE (2018) 4 Punkte
Draußen Regen und noch ein Tag läuft das Disney Plus Abo. So bin ich auf diesen Film gestoßen. Ein Film, der von Anfang an anders ist. Bisschen Tarantino muss ich sagen, also coole Figuren und coole Story. Ein Hotel, das geteilt ist. Eine Hälfte in Nevada und eine Hälfte in Kalifornien und Gäste, die nicht die sind, die sie sagen. Zum Ende hin hat mich der Film etwas verloren, aber trotzdem einer, der besten dieses Jahr. (Disney Plus)
3. QT8: THE FIRST EIGHT (Quentin Tarantino Doku) (2019) 4,5 Punkte
Eine Doku über den Meister-Regisseur Quentin Tarantino. Viele Insider und Infos über seine Filme und die Entstehung davon. Viele Stars, die sich im Interview über die Arbeit mit ihm äußern, doch wer fehlte, war der Regisseur selbst, deshalb „nur“ 4,5 von 5 Punkte. (Aktuell auf Amazon Prime)
2. CODA (2021) 4,5 Punkte
Coda ist ein Remake eines französischen Films namens „Verstehen Sie die Béliers?“, den ich leider noch nicht gesehen habe. Es geht um eine Teenagerin, die als einzige in ihrer Familie hören kann, ein Child of deaf Adults, und singen möchte. Sie fühlt sich als Außenseiterin. In der Schule ist sie die mit der tauben Familie und in der Familie ist sie die, die hören kann. Ich fand ihn sehr emotional und berührend. Es ist außerdem der erste Film, der von einem Streamingdienst (AppleTV+) produziert wurde, der den Oscar als besten Film gewonnen hat. Ich habe ihn tatsächlich am Abend der Oscars vor der Verleihung gesehen. (AppleTV+)
1. THE KING OF STATEN ISLAND (2020) 4,5 Punkte
Ich war kein Fan von Pete Davidson. Ein komischer Typ, bei dem ich nicht verstehe wie er Frauen wie Ariana Grande, Kim K oder Emily Ratajkowski rum bekommen hat. Er muss sehr lustig sein. Der Film basiert lose auf seinem Leben, was ich vorher gar nicht wusste. Ich mochte den Film wahrscheinlich so gerne, weil ich mich so gut mit der Hauptfigur identifizieren konnte. 24, wohnt zu Hause und hat Angst, dass er kein Künstler ist, sondern nur ein Weirdo. Der Film ist herzlich und gab mir ein gutes Gefühl. Coming of Age ist natürlich auch drin, aber das Wichtigste ist, dass man wirklich Menschen auf der Leinwand sieht. (Aktuell auf Amazon Prime oder FreeWee)
Serien:
Ich habe dieses Jahr 100 Staffeln von 71 verschiedenen Serien geschaut.
Serien, die es nicht in die Top 5 geschafft haben, aber trotzdem gut sind:
BETTER CALL SAUL Staffel 6 (2022) 4 Punkte (Netflix)
Guter Abschluss des Breaking Bad Spin-Offs
INVENTING ANNA Staffel 1 (2022) 4 Punkte (Netflix)
Verrückt, wie dreist man sein kann
HELLO LADIES Staffel 1 (2013) 4 Punkte (WOW)
Herzlich + lustig
THE BOYS Staffel 3 (2022) 4 Punkte (Amazon Prime)
Du stehst auf Superhelden und Titten? Dann bist du hier richtig.
5. DAVE Staffel 2 (2021) 4 Punkte
Lil Dicky spielt eine fiktive Version von sich selbst und zeigt wie schwer es ist, ein Album zu machen. Viele coole Songs, vor allem in der letzten Folge und Ally’s Song kann man sich auf YouTube anschauen. Viele Gaststars unter anderem Kendall Jenner und Justin Bieber. Sehr herzlich und eine Feelgood Serie. (Disney Plus)
4. THE WHITE LOTUS Staffel 2 (2022) 4 Punkte
Die erste Staffel fand ich nicht so cool. 3 von 5 Punkte. Nur toxische Leute in toxischen Beziehungskonstellationen. Die zweite Staffel hat völlig neue Charaktere und bleibt toxisch. Aber viel interessanter Ich wollte nicht aufhören zu gucken. Das White Lotus ist eine Luxushotelkette und die Serie handelt von den Angestellten und den Besuchern. 1. Staffel auf Hawaii, 2. Staffel auf Sizilien. (WOW)
3. ONLY MURDERS IN THE BUILDING Staffel 2 (2022) 4 Puntke
Ich mochte die erste Staffel schon sehr von dieser Krimi-Comedy Serie. Die zweite Staffel hat nochmal einen draufgelegt. Die 3 ungleichen Bewohner des selben Hauses, die einen True-Crime Podcast zusammen machen und einen Fall lösen, macht einfach Spaß. Das Beste an der Serie ist für mich auf jeden Fall das Intro. (Disney Plus)
2. HOUSE OF THE DRAGON Staffel 1 (2022) 4,5 Punkte
Wer Game of Thrones nicht gesehen hat, der tut mir leid. In dieser Serie wird vom Haus Targarien erzählt, ca. 200 Jahre vor den Geschehnissen in Game of Thrones. Obwohl es einiges gab, was mir missfiel, wie z.B. zu große Zeitsprünge und keine Konsequenzen für manche Figuren für ihr dämliches Handeln, war es ein Genuss die Serie zu gucken. Alte Gefühle kamen wieder hoch. Die Schauspieler sind klasse, die Figuren sind fast alle gut geschrieben und es gibt echt gute Effekte. (WOW)
1. EUPHORIA Staffel 1 (2020) 4,5 Punkte
Euphoria ist wie High School Musical, Riverdale, Elite und alle anderen Teenie-High-School Serien/Filme, die man so kennt, nur mit Depressionen, auf Crack und sexsüchtig. Eine Serie, die wirklich Themen behandelt, um die sich Teenager wirklich scheren. Zendaya als Junkie ist krass. Der Cast überzeugt vollkommen. Die zweite Staffel hat den Fokus leider etwas geändert und verliert für mich etwas an Qualität, trotzdem ist auch die 2. Staffel (4 Punkte) empfehlenswert. (WOW)
Eigentlich wäre die Doku Serie "Jeen-Yuhs: A Kanye Trilogy" (4,5 Punkte) über Kanye West noch in den TOP 5. So etwas habe ich noch nie gesehen. Aber nachdem sich der Rapper so geäußert hat, wie er es tat, konnte ich es nicht mehr mit mir selbst vereinbaren.
Filme:
Ich habe dieses Jahr 141 Filme geschaut.
Filme, die es nicht in die Top 5 geschafft haben, aber trotzdem gut sind:
HUSTLE (2022) 4 Punkte (Netflix)
Adam Sandler ernst > Adam Sandler lustig
LITTLE WOMEN (2019) 4 Punkte (Aktuell auf Netflix)
Gute Story, Gute Schauspieler, Gute Kostüme
CHA CHA REAL SMOOTH (2022) 4 Punkte (AppleTV+)
Dakota Johnson zum verlieben
KING RICHARD (2021) 4 Punkte (Aktuell auf Netflix)
Sportlich, toxisch, ikonisch
PROMISING YOUNG WOMAN (2020) 4 Punkte (Aktuell auf WOW)
Wie gut willst du ein Drehbuch schreiben? Ja.
5. THE HAND OF GOD (2021) 4 Punkte
Ein italienischer Netflix-Film, der für den Auslands-Oscar nominiert war. Der Film kommt nur über seinen Vibe und die Figuren. Der Titel ist von Diego Armando Maradona herzuleiten, der mit seinem Tor mit der Hand, die Hand Gottes geschaffen hat. Genau in dieser Zeit spielt dieser Film. 80er Jahre in Neapel und Maradona, der große, gottähnliche Maradona wechselt zum SSC Neapel. Kein Film für jeden, aber schöne Bilder und etwas Coming of Age. (Netflix)
4. BAD TIMES AT THE EL ROYALE (2018) 4 Punkte
Draußen Regen und noch ein Tag läuft das Disney Plus Abo. So bin ich auf diesen Film gestoßen. Ein Film, der von Anfang an anders ist. Bisschen Tarantino muss ich sagen, also coole Figuren und coole Story. Ein Hotel, das geteilt ist. Eine Hälfte in Nevada und eine Hälfte in Kalifornien und Gäste, die nicht die sind, die sie sagen. Zum Ende hin hat mich der Film etwas verloren, aber trotzdem einer, der besten dieses Jahr. (Disney Plus)
3. QT8: THE FIRST EIGHT (Quentin Tarantino Doku) (2019) 4,5 Punkte
Eine Doku über den Meister-Regisseur Quentin Tarantino. Viele Insider und Infos über seine Filme und die Entstehung davon. Viele Stars, die sich im Interview über die Arbeit mit ihm äußern, doch wer fehlte, war der Regisseur selbst, deshalb „nur“ 4,5 von 5 Punkte. (Aktuell auf Amazon Prime)
2. CODA (2021) 4,5 Punkte
Coda ist ein Remake eines französischen Films namens „Verstehen Sie die Béliers?“, den ich leider noch nicht gesehen habe. Es geht um eine Teenagerin, die als einzige in ihrer Familie hören kann, ein Child of deaf Adults, und singen möchte. Sie fühlt sich als Außenseiterin. In der Schule ist sie die mit der tauben Familie und in der Familie ist sie die, die hören kann. Ich fand ihn sehr emotional und berührend. Es ist außerdem der erste Film, der von einem Streamingdienst (AppleTV+) produziert wurde, der den Oscar als besten Film gewonnen hat. Ich habe ihn tatsächlich am Abend der Oscars vor der Verleihung gesehen. (AppleTV+)
1. THE KING OF STATEN ISLAND (2020) 4,5 Punkte
Ich war kein Fan von Pete Davidson. Ein komischer Typ, bei dem ich nicht verstehe wie er Frauen wie Ariana Grande, Kim K oder Emily Ratajkowski rum bekommen hat. Er muss sehr lustig sein. Der Film basiert lose auf seinem Leben, was ich vorher gar nicht wusste. Ich mochte den Film wahrscheinlich so gerne, weil ich mich so gut mit der Hauptfigur identifizieren konnte. 24, wohnt zu Hause und hat Angst, dass er kein Künstler ist, sondern nur ein Weirdo. Der Film ist herzlich und gab mir ein gutes Gefühl. Coming of Age ist natürlich auch drin, aber das Wichtigste ist, dass man wirklich Menschen auf der Leinwand sieht. (Aktuell auf Amazon Prime oder FreeWee)
Serien:
Ich habe dieses Jahr 100 Staffeln von 71 verschiedenen Serien geschaut.
Serien, die es nicht in die Top 5 geschafft haben, aber trotzdem gut sind:
BETTER CALL SAUL Staffel 6 (2022) 4 Punkte (Netflix)
Guter Abschluss des Breaking Bad Spin-Offs
INVENTING ANNA Staffel 1 (2022) 4 Punkte (Netflix)
Verrückt, wie dreist man sein kann
HELLO LADIES Staffel 1 (2013) 4 Punkte (WOW)
Herzlich + lustig
THE BOYS Staffel 3 (2022) 4 Punkte (Amazon Prime)
Du stehst auf Superhelden und Titten? Dann bist du hier richtig.
5. DAVE Staffel 2 (2021) 4 Punkte
Lil Dicky spielt eine fiktive Version von sich selbst und zeigt wie schwer es ist, ein Album zu machen. Viele coole Songs, vor allem in der letzten Folge und Ally’s Song kann man sich auf YouTube anschauen. Viele Gaststars unter anderem Kendall Jenner und Justin Bieber. Sehr herzlich und eine Feelgood Serie. (Disney Plus)
4. THE WHITE LOTUS Staffel 2 (2022) 4 Punkte
Die erste Staffel fand ich nicht so cool. 3 von 5 Punkte. Nur toxische Leute in toxischen Beziehungskonstellationen. Die zweite Staffel hat völlig neue Charaktere und bleibt toxisch. Aber viel interessanter Ich wollte nicht aufhören zu gucken. Das White Lotus ist eine Luxushotelkette und die Serie handelt von den Angestellten und den Besuchern. 1. Staffel auf Hawaii, 2. Staffel auf Sizilien. (WOW)
3. ONLY MURDERS IN THE BUILDING Staffel 2 (2022) 4 Puntke
Ich mochte die erste Staffel schon sehr von dieser Krimi-Comedy Serie. Die zweite Staffel hat nochmal einen draufgelegt. Die 3 ungleichen Bewohner des selben Hauses, die einen True-Crime Podcast zusammen machen und einen Fall lösen, macht einfach Spaß. Das Beste an der Serie ist für mich auf jeden Fall das Intro. (Disney Plus)
2. HOUSE OF THE DRAGON Staffel 1 (2022) 4,5 Punkte
Wer Game of Thrones nicht gesehen hat, der tut mir leid. In dieser Serie wird vom Haus Targarien erzählt, ca. 200 Jahre vor den Geschehnissen in Game of Thrones. Obwohl es einiges gab, was mir missfiel, wie z.B. zu große Zeitsprünge und keine Konsequenzen für manche Figuren für ihr dämliches Handeln, war es ein Genuss die Serie zu gucken. Alte Gefühle kamen wieder hoch. Die Schauspieler sind klasse, die Figuren sind fast alle gut geschrieben und es gibt echt gute Effekte. (WOW)
1. EUPHORIA Staffel 1 (2020) 4,5 Punkte
Euphoria ist wie High School Musical, Riverdale, Elite und alle anderen Teenie-High-School Serien/Filme, die man so kennt, nur mit Depressionen, auf Crack und sexsüchtig. Eine Serie, die wirklich Themen behandelt, um die sich Teenager wirklich scheren. Zendaya als Junkie ist krass. Der Cast überzeugt vollkommen. Die zweite Staffel hat den Fokus leider etwas geändert und verliert für mich etwas an Qualität, trotzdem ist auch die 2. Staffel (4 Punkte) empfehlenswert. (WOW)
Eigentlich wäre die Doku Serie "Jeen-Yuhs: A Kanye Trilogy" (4,5 Punkte) über Kanye West noch in den TOP 5. So etwas habe ich noch nie gesehen. Aber nachdem sich der Rapper so geäußert hat, wie er es tat, konnte ich es nicht mehr mit mir selbst vereinbaren.
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Montag, 12. Dezember 2022
7 - Dänemark ist für mich kein Urlaub
pierre-philippe scharf, 14:05h
Dänemark ist für mich kein Urlaub
Es klopfte zweimal an der Tür bis sie ohne ein „Herein“ von mir, aufging. „Ich fahr dann gleich“, sagte Lars, weil er wohl dachte, es würde mich interessieren, was er so tut. „Okay, und?“, erwiderte ich nur. „Nach Dänemark.“ Er wartete auf eine Antwort oder wenigstens auf eine Reaktion von mir. „Mit Toni. Und ihrer Familie. Für eine Woche.“ Ich drehte mich mit meinem Stuhl zu ihm um und sagte: „Nach Dänemark? Um was zu machen? Urlaub?“ Lars hatte keine Ahnung was er mit dieser Aussage anfangen sollte und ich fuhr herablassend fort: „Dänemark ist für mich kein Urlaub.“ Ich wusste selbst nicht, warum ich das gesagt hatte, aber irgendwie stimmte es doch. Alles, was du in Dänemark haben kannst, kannst du auch hier in Deutschland haben. Warum dafür verreisen? Die Aussage triggerte ihn und in einem etwas genervten Ton sagte er: „Ach ja. Und wo fährst du hin?“ Ich konnte ihn nicht gewinnen lassen. Diese Genugtuung konnte ich ihm nicht geben. Natürlich kann ich nicht verreisen und schön Urlaub machen in einem 5 Sterne Hotel, direkt am Strand in einem exotischen Land mit mehr Essen als die Einheimischen. „Wien“, sagte ich, stand auf und packte meinen Koffer.
Es war das erste Mal, dass ich einen Nachtzug nahm. Die Fahrt war auch nicht viel anders als am Tag, denn meiner Meinung nach, können nur Psychopathen in einem Bett schlafen, das sich bewegt. Am Bahnhof holte mich mein Cousin Julian ab, dem ich geschrieben hatte, ob ich nicht mal spontan vorbei kommen kann, als Lars mein Zimmer verlassen hatte. Ich hätte Lars natürlich auch nur sagen können, dass ich in Wien war ohne wirklich hinzufahren, aber ich wollte ohnehin mal rauskommen und nicht die ganze Zeit mein Handy anstarren und auf eine Antwort von Clara warten.
Julian ist cool. Er hat lange nach hinten gekämmte Haare und trägt einen Mix aus vintage, schicken und absolut trashigen Klamotten. Aber ihm steht es. Er trägt es mit Selbstvertrauen. „Da hat der Zug tatsächlich meinen kleinen Cousin hergetragen.“, sagte er mit seinem österreichischen Akzent, den ich ja persönlich sehr cool finde. Er ist der Sohn vom Bruder meines Vaters und wir hatten schon immer sehr wenig Kontakt aufgrund der Entfernung.
Seine Wohnung war groß. Zu groß für eine Person. Ich hatte ein eigenes Zimmer und richtete mich erstmal ein. Als ich fertig war, saß Julian oberkörperfrei am Esstisch. Er war so dünn, dass manche Leute denken würden, er wäre muskulös, weil man seine Muskeln sieht, aber er war nicht trainiert. Ein paar Strähnen seiner Haare fielen mit dem Fortschreiten des Tages nach vorne, eine Kippe steckte hinter seinem rechtem Ohr und eine fancy Sonnenbrille lag auf dem Tisch. Er drehte einen Joint. „Rauchst du?“, fragte er mich. „Nur Zigaretten. Also die eigentlich auch nicht mehr.“, antwortete ich. Ich kam noch nie mit härteren Drogen als Alkohol oder Tabak in Berührung. „Wir haben heute einen Tisch reserviert und ich habe ein Blinddate für dich arrangiert. Du bist doch alleinstehend oder?“ Ich liebte diesen Akzent und wie er Wörter benutzte, die aus der Zeit gefallen sind.
Mit „Wir“ meinte er seine Freundesgruppe. 8 Leute und ich saßen in einem schicken Restaurant, in dem ich mich völlig fehl am Platz fühlte. Die Gruppe war bunt gemischt. Einer war mal Tennisspieler, der wegen einer Verletzung, als er 18 war, aufhören musste. Er galt als Jahrhunderttalent und als die große Hoffnung Österreichs. Dann gab es noch einen Jurastudenten, der nebenbei als Barkeeper in einer schmierigen Bar arbeitete und aussah wie ein Herzensbrecher. Die älteste war eine Trompetenspielerin, die in einem richtig heftigen Orchester spielt, aber das Kurioseste an ihr, war, dass sie mit ihrem Stiefvater zusammen war. Die vierte in der Runde war eine französische Ballerina, die gerade in Wien für eine längere Zeit spielte. Eine sehr grazile Gestallt und ähnelt am ehesten einem Zahnstocher. Sie sagte bei der Vorstellung, dass sie 27 Jahre alt sei und jeder wusste, dass sie dieses Alter schon seit 5 Jahren sagt. Ein Typ war noch Archäologe. Auf die Frage, wie er dazu kam, sagte er, dass er sich für Architektur eintragen wollte, sich aber auf der Website verklickt hatte und jetzt seinen Job liebt. Dann gab’s da noch Julian, von dem ich keine Ahnung hatte, was er beruflich macht und einen Schauspieler, der richtig heftig auf die Ballerina geierte. Ich glaube, mit dem hatte ich kein einziges Wort gewechselt.
Wir waren mit Abstand die Lautesten, aber es störte niemanden. Die Kellner kannten die Gruppe und alles war locker und familiär. Gina, mein Blinddate, die letze der 8er Gruppe, war der Hammer. Wir verstanden uns sofort gut. Sie war auch aufgeregt, weil Julian ihr so viel von mir erzählt hatte, obwohl er eigentlich nichts von mir wusste, so wie ich von ihm auch nicht. Schon komisch, dass wir ein Grundvertrauen uns gegenüber empfunden hatten, nur weil uns mal gesagt wurde, dass wir der gleichen Blutlinie angehören. Ginas Lachen war sehr herzlich. Sie strahlte über das ganze Gesicht und ich kann es nicht oft genug sagen, aber dieser Akzent. Ich schmolz dahin. Wenn sie rausgeht, ist sie immer die Schönste auf der Straße.
Der Abend schritt weiter fort, die leeren Weinflaschen wurden nach und nach abgeräumt und durch Neue ersetzt. Ich saß da, einen Arm um Ginas Hals und meine Hand auf ihrer Schulter, als wären wir schon ewig zusammen. Wir sprachen den ganzen Abend und nahmen nur sporadisch am Tischgespräch teil. Ab und an hörte man mal etwas out of Context, wie z.B., dass einer meinte, er und seine Freundin hätten eine Motorradtour durch Europa gemacht und sie ist mit dem Auto hinterher gefahren. Ich war aber so glücklich, dass ich diese „Motorradtour“ nicht mal verurteilen konnte. Gina trug eine Kette mit einer blauen Lasche von einer Getränkedose als Anhänger um den Hals. Man musste sofort hingucken und das nicht nur, weil sie bis zu ihrem Dekolleté reichte. Im Gegenteil, die Lasche war der eigentliche Blickfang und lies ihre Brüste unwichtig erscheinen.
Sie studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Die gleiche Uni, die Hitler abgelehnt hatte. Als ich dann meinte, dass ich Literatur studiere, meinte sie: „Oh ein Autor. Was schreibt’s denn?“ „Texte, auch mal ein Gedicht, ich weiß noch nicht.“ Ich wollte nicht, dass sie weiß, dass ich einen Blog schreibe und lenkte das Gesprächsthema sofort wieder auf sie. Menschen wollen immer gerne über sich selbst reden und mit zwei, drei gezielten Fragen, kann man so einen ganzen Abend füllen.
Als dann eine allgemeine Aufbruchsstimmung aufkam und wir uns als Gruppe noch vor dem Lokal zusammenstellten und keiner wusste, ob es heute noch weiter ging, hakte sich Gina mit ihrem Arm an meinem ein und gab mir zu verstehen, dass wir heute noch nicht auseinander gehen würden. Julian gab mir noch einen Schlüssel und wünschte noch einen schönen Abend. Alle verließen uns. Gina schaute mich mit ihren großen Manga-Augen, wie Garfield seine Lasagne an, stellte sich auf Zehenspitzen und gab mir einen Kuss. „So fühlte sich das an“, war mein erster Gedanke. Es war lange her, dass ich so weiche Lippen spürte. Sie schmeckte nach Kokos und roch auch so. Nein, sie roch nicht, sie duftete und das nach Kokos. Gina schien sehr locker zu sein. Fast schon frei. Egal was andere von ihr denken würden und was die Zukunft bringen wird. Sie ist so eine, der es egal ist, ob sie später mal ei eigenes Haus hat oder wie viel Geld sie hat.
Wir kannte uns seit knappen 3 Stunden und jetzt waren wir auf dem Weg zu ihrer Wohnung, wobei wir immer wieder Pausen machen mussten, weil wir knutschten. Sie besaß eine einzigartige Ausstrahlung. Ihre Wohnung war eine schöne Altbauwohnung mit hohen Decken und auch viel zu groß. Platz spielt in Wien wohl keine Rolle und Geld sowieso nicht. „Du wohnst in einer WG?“, fragte ich sie, weil ich dachte, dass man sich das als Studentin auf gar keinen Fall leisten konnte. „Ne, ist meine. Alleine.“ Während ich mich umschaute, holte sie etwas zu trinken. Sie hatte viele Kameras, alte, sehr alte, neue und Bilder und Zeichnungen überall an den Wänden. Manche waren eingerahmt, manche einfach mit Klebeband an die Wand geklebt oder auf riesigen Stapeln liegend. Ihre Wohnung hatte einen sehr kreativen Vibe. Man wollte selbst sofort loslegen und etwas erschaffen. Ihre Einrichtung war auch einfach schick und künstlerisch. Ein kleiner Stuhl stand am Fenster. Er sah so zufällig platziert aus und führte keinen Zweck aus. Gina setzte sich auf die Couch und beobachtete mich. Ich bemerkte es irgendwann und spielte ihr dann vor, dass ich nicht merkte, wie sie mich beobachtet, weil mir ihre Blicke gefielen. „Kannst du zeichnen?“, fragte sie mich, während ich vor einer eingerahmten Bleistiftzeichnung stand, auf der ein Hase seinen eigenen abgeschnittenen Kopf in der Hand hielt. Die Detailgenauigkeit war unglaublich präzise. Eine Präzision, in der man sich verliere konnte. „Ich kann so zeichnen wie ich eben zeichne, genauso wie ich singen kann, wie ich singe. Ich würde sagen, dass ich beides nicht gut kann.“ Die Antwort reichte ihr um ein Stativ aufzubauen, auf dem sie einen großen weißen Block Papier aufstellte und mir einen Bleistift in die Hand drückte. „Ich soll etwas malen?“ „Zeichnen.“, antwortete sie. „Dann musst du aber auch etwas für mich machen.“ Sie war neugierig, worauf ich hinaus wollte. „Und was?“ Ich glaube, ich hätte wirklich alles sagen können. „Ich zeichne und du schreibst etwas.“ Während des Gesprächs kam Gina mir immer näher, doch als ich mit meinem Satz fertig war, drehte sie sich blitzartig um und schrieb etwas auf einen Zettel. Ein paar Sekunden später knickte sie den Zettel und streckte ihn in meine Richtung. Als ich ihn nehmen wollte, zog sie ihn wieder zu sich und sagte: „Erst lesen, wenn du wieder in Deutschland bist.“ Ich nickte und nahm den Zettel. An diesem Abend kam ich allerdings nicht mehr zum Zeichnen. Ich sag mal so, wir beide fanden einfach, dass wir richtig super Küsser waren.
Julian saß am nächsten Morgen wieder am Esstisch als ich in die Wohnung kam. Seine Haare, wie die von Richard David Precht und die Sonne, wie sie durch die halbgeöffnete Jalousien schien, machte ihm ein gestreiftes Muster am ganzen Körper. „Und bist du schon erfolgreich?“ Ich verstand nicht, was er meinte und dachte, er meinte, ob ich erfolgreich war, im Sinne von, ob ich, naja ihr wisst schon und antwortete ihm: „Wir hatten Spaß, danke.“ „Aber hattest ihr auch Sex, mein Lieber?“, hakte er nach. „Nein, wieso?“, sagte ich zögerlich. Es war mir etwas zu persönlich. Er schmunzelte und lachte in sich rein. „Gina lässt sich Zeit. Hätte mich schon gewundert. Das war aber nicht immer so. Hat sie etwas über ihre Vagina erzählt?“ Ich stand verwirrt in der Küchentür. „Julian, was willst du mir sagen?“ Er zeigte auf den Platz vor sich und ich setze mich. „Gina, Cousin“, fing er an, als ob er mir eine Geschichte erzählen wollte, „Gina hat eine magische Vagina.“ Ich wusste nicht genau wie ich reagieren sollte, doch fing instinktiv an zu grinsen, weil mir hier ein 28-jähriger erwachsener Mann etwas über eine magische Vagina erzählen wollte. „Kann sie Wünsche erfüllen oder was ist so magisch an ihr?“ Er erzählte weiter: „Nein Cousin, du verstehst nicht. Alle Kerle, die mit ihr Sex hatten, wurden erfolgreich, in dem was sie machen. Einer verkaufte seine Firma an Microsoft, der andere bekam die oberste Stelle in seinem Supermarkt und wieder einer ist der aufstrebendste Politiker Österreichs.“ Er sagte es mit einer Ernsthaftigkeit, die keinen Spielraum für Zweifel lies. „Du verarschst mich doch gerade oder?“ „Nein Cousin. Erst war es eine kleine Scherzelei in unserer Gruppe, doch dann fing sie selbst an, es zu glauben und achtet seitdem sehr darauf mit wem sie schläft.“ Immer noch verdutzt saß ich ihm entgegen. „Sie glaubt es selbst?“ Julian nickte langsam mit einer großen Bewegung, stand dann auf und verlies den Raum.
2 Tage später traf ich mich wieder mit Gina. Wir waren in einem Park und in so einem alten Gebäude, das typisch Wien ist, keine Ahnung wie das heißt. Es war schön, aber alles wäre noch schöner mit weniger Menschen. Gina fragte mich nie, wie lange ich noch bleibe, Julian auch nicht, spielt hier etwa Platz, Geld und Zeit keine Rolle? Bin ich noch auf der Erde? Es kam mir jedenfalls wie eine andere Welt vor.
Im Park machten wir ein kleines Picknick, küssten uns und redeten. Sie war so geistreich, was mich überraschte, weil sie äußerlich viel zu hübsch aussah, um zusätzlich noch schlau zu sein. Verdammte Vorurteile. Ich sah wie Gina, die silberne Lasche ihrer Dose löste und in ihre Tasche steckte. „Was machst du?“ „Ich habe noch keine Silberne. Und ich will etwas haben, was mich an dich erinnert, wenn du wieder weg bist.“ Zeit spielt also doch eine Rolle in dieser Welt. Ich sagte ihr noch, dass sie so eine Sorglosigkeit ausstrahlt und ich das Gefühl habe, dass sie sich nie richtig Gedanken um die Zukunft machen würde, um Geld und dass es ihr bestimmt egal sein würde, ob sie mal ein Haus besitzen würde. „Die Wohnung. Die gehört mir. Mein Vater ist Josef Duperret.“, sagte sie zu mir, als müsste ich wissen wer das war. Julian erzählte mir später, dass er einer der größten Immobilienmogule Wiens sei. Also hatte ich recht, Gina machte sich keine Sorgen um Geld.
In ihrer Wohnung zeigte sie mir ein paar neue Zeichnungen der letzten Tage. Alles sehr durchmischt. Mal wage Zeichnungen, mal eine perfekt gemalte Landschaft, wofür jeder normale Mensch Jahre oder Jahrzehnte brauchen würde. Ihre Kreativität hatte keine Grenzen. Gina zeigte mir auch ein paar Designs von Kleidern und Hosen, weil sie überlegt etwas mit Mode machen zu wollen. Dann verschwand sie im Bad und kam nackt wieder raus. Nur die Kette mit der silbernen Lasche trug sie noch. Gina wollte, dass ich sie nackt malte. Das heißt, dass ich auch nackt sein sollte. Ich handelte noch heraus, dass sie ihre Kette tragen durfte und ich meine Unterhose. Mein Selbstvertrauen war noch nicht so hoch, stundenlang nackt herumzustehen.
Heute roch sie nach Rauch. Die ganze Wohnung auch, was auch daran lag, dass wir beide in der Wohnung eine nach der anderen anzündeten. Ich mein, ihr gehört die Wohnung, also ist es doch egal und ja, ich habe wieder geraucht. Gina ging zu dem Fenster, an dem der Stuhl stand, der so zufällig platziert aussah und stellte sich drauf. Das Licht von draußen machte einen sehr harten Schatten auf Ginas Körper und Gesicht. Eine Seite von ihr war komplett in Licht gehüllt und die andere, die nicht zum Fenster zeigte, war stockfinster. Wir hatten auch kein anderes Licht an, außer zwei fast abgebrannte Duftkerzen, deren Vanille Duft nicht gegen den Gestank des Rauchs ankamen.
Ich fing an zu zeichnen und wir redeten gute zwei Stunden kein Wort. Sie stand einfach auf dem Stuhl, ohne eine Pose zu machen. So pur, selbstbewusst und ohne Scham. Als meine Zeichnung fertig war, holte ich sie zu mir. Gina betrachtete es ein paar Minuten lang und sagte dann: „Du bist ein waschechter Künstler.“ Das Bild zeigte eine Silhouette einer nackten Frau, doch nicht alles stellte ich detailliert dar. Vieles war nur angedeutet. Ihr Bauch war detailliert, die Formen ihrer Brüste waren erkennbar, doch die Brustwarzen waren kaum existent. Ihre Arme und Beine waren einfach gezeichnet, die Lippen, Haare und Augen wieder sehr detailliert, eine Nase nur angedeutet. Der Blickfang war aber die Kette mit ihrer silbernen Dosenlasche, die zwischen ihren Brüsten hing. „Ich habe versucht dich so zu zeigen, wie ich dich sehe.“, sagte ich. „Warum hast du da nichts gemalt?“ Gina zeigte auf den Bereich der Vagina. „Es…“, fing ich an, „es spielte keine große Rolle für mich.“ Sie hatte plötzlich einen etwas ernsteren Ton aufgelegt und sagte: „Kannst du irgendwas besonders gut?“ Verwirrt: „Ich weiß nicht.“ „Julian hat dir bestimmt davon erzählt, oder?“ Ich konnte nicht glauben, dass sie darauf hinaus wollte und ich spielte den Ahnungslosen. „Was? Ich weiß nicht-“ „Von meiner Vagina. Das sie magisch ist.“ Ich konnte nicht glauben, dass sie selber so von ihrer Vagina redete und musste innerlich lachen. „Doch, jetzt wo du es sagst. Das hat er erwähnt.“, entgegnete ich mit sarkastischem Unterton. „Es stimmt.“, sagte sie und flüsterte mir dann ins Ohr: „Und ich möchte, dass du erfolgreich bist.“ Mit diesen Worten nahm sie meine Hand und wir gingen ins Schlafzimmer. Ich würde gerne in allen Details beschreiben, was sich dort zutrug, allerdings wäre das nicht christlich und nach dieser Nacht, bleibt mir nicht anderes übrig als an Gott zu glauben.
Wieder ein paar Tage später, ich weiß wirklich nicht wie viele, wie gesagt Zeit spielt in Wien keine Rolle, kam ich wieder zu Julian und er saß wieder genauso da, wie ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, als hätte er sich die letzten Tage nicht bewegt. „Du hast es geschafft nicht wahr?“, war sein erster Satz als ich in die Tür trat. Ich nickte nur verlegen. „Glückwunsch, Cousin. Ich hoffe, es ist okay, dass ich dich die nächsten Tage alleine lasse. Ich will meine Freundin besuchen.“ Seine Freundin wohnte in Linz. Das ist auch irgendwo in Österreich. Ich wusste gar nicht, dass er eine Freundin hatte oder was sein Job war. Interessiere ich mich so wenig für meine Mitmenschen?
Die nächsten Tage waren leider etwas ernüchternd. Gina antworte auf keine meiner Nachrichten und auch bei einem Treffen der Gang war sie nicht da. Ist das ihre Masche? Einen Typen erfolgreich ficken und ihn nie wieder sehen? Der eine Abend mit der Gang war trotzdem witzig. Sie nahmen mich auch ohne Julian gut auf. Ein Kerl hieß Qualle, warum auch immer und erzählte mir einen Witz, den er von allen Anwesenden selbst am witzigsten fand. „Was sagt ein Serienkiller zu Mozart? Auf der Kugel steht dein Name.“ Hä?
Als Julian wieder da war, gingen wir mit der Gang bowlen. Gina kam auch und begrüßte mich als letztes mit einer herzlichen Umarmung. Danach nahm sie direkt meine Hand und in ihren Augen konnte man: „Es tut mir leid“, ablesen. Ich war richtig glücklich. Beim Bowlen machte mir keiner etwas vor und ich war mit Abstand der Beste. Gina setzte sich zwischen den Runden auf meinen Schoß und es wirkte alles sehr vertraut. Mein Sieg wurde von allen anderen auf meine deutschen Gene abgeschoben. Ich ärgerte sie zurück und nannte sie Österreicher, worauf sie dann immer sagten, dass sie Wiener sind und keine Österreicher. Ich liebte die alle für ihren Humor. Nach dem Essen, setzten sich Gina und ich auf eine Bank. Es war schon echt kalt, trotzdem hab ich ihr meine Jacke um die Schultern gelegt. „Ich wollte mich noch entschuldigen. Ich war irgendwie doof.“, sagte Gina. Mit diesem Akzent konnte ich leider nicht wütend auf jemanden sein. „Ich-“, sagte sie weiter. „Ich habe mich mit einem anderen getroffen und wollte mit ihm schlafen. Doch als wir bei mir waren, schaute er sich die Bilder und Zeichnungen an. Er blieb vor deiner Zeichnung am längsten stehen und lobte mich dafür, wie künstlerisch das Bild sei. Da merkte ich, wie besonders du bist und dass ich dich irgendwie sehr mag. Wenn nicht sogar liebe., keine Ahnung. So kitschig.“ Hier ein kleines Abbild meiner Gedanken in der Situation: „Was? Du- Ich. Was? Aber?! Und dann? Fuck! Keine Ahnung. Echt?! Hä??!“ Ich zögerte mit meiner Antwort und sagte dann sehr durchdacht. „Ich liebe dich nicht, Gina. Du bist toll, wunderschön und klug, aber-“, sie stand auf und ging, mit meiner Jacke, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Das war wahrscheinlich der ehrlichste Moment meines Lebens.
Julian meinte, nachdem ich ihm die Geschichte erzählt hatte: „Aber Cousin, sie hat dich erfolgreich gefickt, freu dich darüber.“ Diese Worte waren ein schwacher Trost. Ich packte meine Sachen zusammen, um zurück in den Alltag zu fahren. Das nächste Treffen der Gang sagte ich ab und ich fragte Julian auch nicht, ob Gina da war. Ich fühlte mich verletzt, obwohl ich ihr ja den Korb gegeben hatte. Am Abend vor dem Tag, an dem ich zurückfahren wollte, bekam ich dann eine Nachricht von Gina. „Komm heute vorbei, bitte.“ Ich überlegte, ob ich sie anlüge und schreibe, dass ich wieder daheim bin und es mir leid tut, wie alles geendet ist, doch keine Stunde später stand ich vor ihrer Tür. Sie begrüßte mich nicht. Es duftete nach Vanille. Kein Rauchgestank mehr. Neue Duftkerzen brannten ab. Gina trug nur einen seidenen Bademantel, den sie nicht mal zugemacht hatte. Ich bin ehrlich, es gibt schlimmere Begrüßungen.
Im Wohnzimmer bat sie mich, ihr mit ihrer Kette zu helfen. Es war ein abgekartetes Spiel. Ich half ihr und schloß die Kette an ihrem Hals zu, dann drehte sie sich um und der silberne Anhänger schimmerte in dem gedämmten Licht. Auf dem Tisch lagen schon ein paar Kameras vorbereitet. „Ich will, dass du mich fotografiert, wenn ich es dir sage“, sagte sie als ich die Kameras sah. Das war die zweite Hitler-Parallele, erst etwas befehlen und dann abdrücken. Sie war heute kurz angebunden und setzte sich lasziv in Pose. „Ich möchte eine Collage aus den Bildern machen. Kann ja sein, dass es das ist, was du gut kannst.“ Ich wechselte hin und wieder die Kameras und sie ihre Pose. Bei einer Pose zögerte ich mit dem Abdrücken. Sie saß breitbeinig auf einem Stuhl. „Willst du wirklich, dass jeder das sehen kann?“, dachte ich. Als könnte sie meine Gedanken lesen, warf sie mir einen Blick zu, der sagte: „Ja, ich will das. Mach das Foto.“
In einer kurzen Pause, trank sie einen Schluck Wasser, ich stand hinter ihr und strich mit zwei Fingern ihren Rücken entlang. Am Steißbein fühlte ich diese kleinen Härchen. Das war eigentlich immer der Ablauf nach dem Sex. Doch sie wollte in dem Moment diese Nähe nicht und ging ins Treppenhaus. Es war mir unangenehm dort Fotos zu machen, quasi in der Öffentlichkeit, aber keiner sah uns. Als wir fertig waren, sagte Gina: „Danke. Du kannst gehen, wenn du willst“, und ging ins Schlafzimmer. Ich wollte aber nicht gehen und folgte ihr. Ein paar Minuten später streichelte ich wieder ihren unteren Rücken, ihr Steißbein und fühlte wieder die kleinen feinen Härchen.
Später in der Nacht wurde ich mit einem Tritt in die Hüfte geweckt. Mit zwei weiteren Tritten wurde ich aus dem Bett geworfen. „Du Wichser, du Hurensohn! Wer ist sie?“ Ich hatte keine Ahnung wovon sie redete. „Wer ist Clara?“, sagte sie und hielt mein Handy in der Hand, auf dem ein Anruf von Clara gerade einging. „Liebst du sie?“ Gina schrie mich an und ich saß noch immer nackt auf dem Boden. Dann warf sie mich mit meinen Klamotten ab und scheuchte mich penetrant in Richtung Tür, die dann auch vor meiner Nase in die Angeln fielen. Genau jetzt kam natürlich ein junges Paar durchs Treppenhaus. Ich zog mich an und ging im strömenden Regen zu Julians Wohnung. Meine Jacke, die sie den einen Abend mitnahm, habe ich nie wieder gesehen.
Mein Korb nagte wohl noch sehr an Gina. Sie ist so eine, die, glaube ich, noch nie richtig Zurückweisung erfahren hat und mit dem letzten Treffen wollte sie mich doch noch für sie begeistern. Nur für ihr Ego. Der Satz: „Du hässlicher Wichser.“, nagte jetzt an mir. Am nächsten Morgen verabschiedete ich mich von Julian und bedankte mich für alles. Ich hatte ganz vergessen Clara zurückzurufen und konnte auch noch nicht darüber nachdenken, was es bedeutet, dass sie sich endlich gemeldet hatte. Zuhause angekommen, war Lars extrem abgefuckt. „Warum antwortest du denn nicht auf meine Nachrichten? Wo warst du die letzen 3 Wochen?“ 3 Wochen war ich weg. Wow. Kam mir kürzer vor. Aber kaum war ich wieder hier, erfuhr ich die traurigste Lektion des Reisens: Dass sich nichts, rein gar nichts ändert, wenn man wieder Zuhause ist und alles wie vorher ist. Ich wünschte mir wieder einen Strick und einen anderen Mitbewohner.
Ein paar Tage nach meiner Rückkehr fand ich in meinem Rucksack noch den Zettel, auf dem Gina ihren Text schrieb. Ich stellte mir vor, wie sie auf dem kleinen Stuhl am Fenster saß, ihre Kette mit der silbernen Lasche anfasst und diesen Text mit ihrem süßen österreichischen Akzent liest. Es sollte das vorletzte Mal sein, dass ich an sie dachte.
Die Farben des Jänners
Im Winter ist es kalt. Dem Atem wird ein Leben geschenkt. Der Schnee ist weiß.
Verführerisch seine Spuren dort zu hinterlassen.
Ein neues Jahr. Eine neue Chance für die, die es noch nicht geschafft haben.
Eine neue Chance, seine eigenen Spuren zu hinterlassen.
Also hoch auf die Beine. Ignoriere die Stoppschilder des Lebens, die Blicke der anderen.
Augen auf die Straße, auch wenn es dunkel ist.
Versagt hat man erst, wenn man aufgibt und die Schuhe in den Keller stellt.
Im Frühling schmilzt der Schnee, im Sommer ist nicht mehr an ihn zu denken, aber die Spuren, sie können bleiben, in der dunklen Erde, wenn sie tief genug sind.
Es klopfte zweimal an der Tür bis sie ohne ein „Herein“ von mir, aufging. „Ich fahr dann gleich“, sagte Lars, weil er wohl dachte, es würde mich interessieren, was er so tut. „Okay, und?“, erwiderte ich nur. „Nach Dänemark.“ Er wartete auf eine Antwort oder wenigstens auf eine Reaktion von mir. „Mit Toni. Und ihrer Familie. Für eine Woche.“ Ich drehte mich mit meinem Stuhl zu ihm um und sagte: „Nach Dänemark? Um was zu machen? Urlaub?“ Lars hatte keine Ahnung was er mit dieser Aussage anfangen sollte und ich fuhr herablassend fort: „Dänemark ist für mich kein Urlaub.“ Ich wusste selbst nicht, warum ich das gesagt hatte, aber irgendwie stimmte es doch. Alles, was du in Dänemark haben kannst, kannst du auch hier in Deutschland haben. Warum dafür verreisen? Die Aussage triggerte ihn und in einem etwas genervten Ton sagte er: „Ach ja. Und wo fährst du hin?“ Ich konnte ihn nicht gewinnen lassen. Diese Genugtuung konnte ich ihm nicht geben. Natürlich kann ich nicht verreisen und schön Urlaub machen in einem 5 Sterne Hotel, direkt am Strand in einem exotischen Land mit mehr Essen als die Einheimischen. „Wien“, sagte ich, stand auf und packte meinen Koffer.
Es war das erste Mal, dass ich einen Nachtzug nahm. Die Fahrt war auch nicht viel anders als am Tag, denn meiner Meinung nach, können nur Psychopathen in einem Bett schlafen, das sich bewegt. Am Bahnhof holte mich mein Cousin Julian ab, dem ich geschrieben hatte, ob ich nicht mal spontan vorbei kommen kann, als Lars mein Zimmer verlassen hatte. Ich hätte Lars natürlich auch nur sagen können, dass ich in Wien war ohne wirklich hinzufahren, aber ich wollte ohnehin mal rauskommen und nicht die ganze Zeit mein Handy anstarren und auf eine Antwort von Clara warten.
Julian ist cool. Er hat lange nach hinten gekämmte Haare und trägt einen Mix aus vintage, schicken und absolut trashigen Klamotten. Aber ihm steht es. Er trägt es mit Selbstvertrauen. „Da hat der Zug tatsächlich meinen kleinen Cousin hergetragen.“, sagte er mit seinem österreichischen Akzent, den ich ja persönlich sehr cool finde. Er ist der Sohn vom Bruder meines Vaters und wir hatten schon immer sehr wenig Kontakt aufgrund der Entfernung.
Seine Wohnung war groß. Zu groß für eine Person. Ich hatte ein eigenes Zimmer und richtete mich erstmal ein. Als ich fertig war, saß Julian oberkörperfrei am Esstisch. Er war so dünn, dass manche Leute denken würden, er wäre muskulös, weil man seine Muskeln sieht, aber er war nicht trainiert. Ein paar Strähnen seiner Haare fielen mit dem Fortschreiten des Tages nach vorne, eine Kippe steckte hinter seinem rechtem Ohr und eine fancy Sonnenbrille lag auf dem Tisch. Er drehte einen Joint. „Rauchst du?“, fragte er mich. „Nur Zigaretten. Also die eigentlich auch nicht mehr.“, antwortete ich. Ich kam noch nie mit härteren Drogen als Alkohol oder Tabak in Berührung. „Wir haben heute einen Tisch reserviert und ich habe ein Blinddate für dich arrangiert. Du bist doch alleinstehend oder?“ Ich liebte diesen Akzent und wie er Wörter benutzte, die aus der Zeit gefallen sind.
Mit „Wir“ meinte er seine Freundesgruppe. 8 Leute und ich saßen in einem schicken Restaurant, in dem ich mich völlig fehl am Platz fühlte. Die Gruppe war bunt gemischt. Einer war mal Tennisspieler, der wegen einer Verletzung, als er 18 war, aufhören musste. Er galt als Jahrhunderttalent und als die große Hoffnung Österreichs. Dann gab es noch einen Jurastudenten, der nebenbei als Barkeeper in einer schmierigen Bar arbeitete und aussah wie ein Herzensbrecher. Die älteste war eine Trompetenspielerin, die in einem richtig heftigen Orchester spielt, aber das Kurioseste an ihr, war, dass sie mit ihrem Stiefvater zusammen war. Die vierte in der Runde war eine französische Ballerina, die gerade in Wien für eine längere Zeit spielte. Eine sehr grazile Gestallt und ähnelt am ehesten einem Zahnstocher. Sie sagte bei der Vorstellung, dass sie 27 Jahre alt sei und jeder wusste, dass sie dieses Alter schon seit 5 Jahren sagt. Ein Typ war noch Archäologe. Auf die Frage, wie er dazu kam, sagte er, dass er sich für Architektur eintragen wollte, sich aber auf der Website verklickt hatte und jetzt seinen Job liebt. Dann gab’s da noch Julian, von dem ich keine Ahnung hatte, was er beruflich macht und einen Schauspieler, der richtig heftig auf die Ballerina geierte. Ich glaube, mit dem hatte ich kein einziges Wort gewechselt.
Wir waren mit Abstand die Lautesten, aber es störte niemanden. Die Kellner kannten die Gruppe und alles war locker und familiär. Gina, mein Blinddate, die letze der 8er Gruppe, war der Hammer. Wir verstanden uns sofort gut. Sie war auch aufgeregt, weil Julian ihr so viel von mir erzählt hatte, obwohl er eigentlich nichts von mir wusste, so wie ich von ihm auch nicht. Schon komisch, dass wir ein Grundvertrauen uns gegenüber empfunden hatten, nur weil uns mal gesagt wurde, dass wir der gleichen Blutlinie angehören. Ginas Lachen war sehr herzlich. Sie strahlte über das ganze Gesicht und ich kann es nicht oft genug sagen, aber dieser Akzent. Ich schmolz dahin. Wenn sie rausgeht, ist sie immer die Schönste auf der Straße.
Der Abend schritt weiter fort, die leeren Weinflaschen wurden nach und nach abgeräumt und durch Neue ersetzt. Ich saß da, einen Arm um Ginas Hals und meine Hand auf ihrer Schulter, als wären wir schon ewig zusammen. Wir sprachen den ganzen Abend und nahmen nur sporadisch am Tischgespräch teil. Ab und an hörte man mal etwas out of Context, wie z.B., dass einer meinte, er und seine Freundin hätten eine Motorradtour durch Europa gemacht und sie ist mit dem Auto hinterher gefahren. Ich war aber so glücklich, dass ich diese „Motorradtour“ nicht mal verurteilen konnte. Gina trug eine Kette mit einer blauen Lasche von einer Getränkedose als Anhänger um den Hals. Man musste sofort hingucken und das nicht nur, weil sie bis zu ihrem Dekolleté reichte. Im Gegenteil, die Lasche war der eigentliche Blickfang und lies ihre Brüste unwichtig erscheinen.
Sie studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Die gleiche Uni, die Hitler abgelehnt hatte. Als ich dann meinte, dass ich Literatur studiere, meinte sie: „Oh ein Autor. Was schreibt’s denn?“ „Texte, auch mal ein Gedicht, ich weiß noch nicht.“ Ich wollte nicht, dass sie weiß, dass ich einen Blog schreibe und lenkte das Gesprächsthema sofort wieder auf sie. Menschen wollen immer gerne über sich selbst reden und mit zwei, drei gezielten Fragen, kann man so einen ganzen Abend füllen.
Als dann eine allgemeine Aufbruchsstimmung aufkam und wir uns als Gruppe noch vor dem Lokal zusammenstellten und keiner wusste, ob es heute noch weiter ging, hakte sich Gina mit ihrem Arm an meinem ein und gab mir zu verstehen, dass wir heute noch nicht auseinander gehen würden. Julian gab mir noch einen Schlüssel und wünschte noch einen schönen Abend. Alle verließen uns. Gina schaute mich mit ihren großen Manga-Augen, wie Garfield seine Lasagne an, stellte sich auf Zehenspitzen und gab mir einen Kuss. „So fühlte sich das an“, war mein erster Gedanke. Es war lange her, dass ich so weiche Lippen spürte. Sie schmeckte nach Kokos und roch auch so. Nein, sie roch nicht, sie duftete und das nach Kokos. Gina schien sehr locker zu sein. Fast schon frei. Egal was andere von ihr denken würden und was die Zukunft bringen wird. Sie ist so eine, der es egal ist, ob sie später mal ei eigenes Haus hat oder wie viel Geld sie hat.
Wir kannte uns seit knappen 3 Stunden und jetzt waren wir auf dem Weg zu ihrer Wohnung, wobei wir immer wieder Pausen machen mussten, weil wir knutschten. Sie besaß eine einzigartige Ausstrahlung. Ihre Wohnung war eine schöne Altbauwohnung mit hohen Decken und auch viel zu groß. Platz spielt in Wien wohl keine Rolle und Geld sowieso nicht. „Du wohnst in einer WG?“, fragte ich sie, weil ich dachte, dass man sich das als Studentin auf gar keinen Fall leisten konnte. „Ne, ist meine. Alleine.“ Während ich mich umschaute, holte sie etwas zu trinken. Sie hatte viele Kameras, alte, sehr alte, neue und Bilder und Zeichnungen überall an den Wänden. Manche waren eingerahmt, manche einfach mit Klebeband an die Wand geklebt oder auf riesigen Stapeln liegend. Ihre Wohnung hatte einen sehr kreativen Vibe. Man wollte selbst sofort loslegen und etwas erschaffen. Ihre Einrichtung war auch einfach schick und künstlerisch. Ein kleiner Stuhl stand am Fenster. Er sah so zufällig platziert aus und führte keinen Zweck aus. Gina setzte sich auf die Couch und beobachtete mich. Ich bemerkte es irgendwann und spielte ihr dann vor, dass ich nicht merkte, wie sie mich beobachtet, weil mir ihre Blicke gefielen. „Kannst du zeichnen?“, fragte sie mich, während ich vor einer eingerahmten Bleistiftzeichnung stand, auf der ein Hase seinen eigenen abgeschnittenen Kopf in der Hand hielt. Die Detailgenauigkeit war unglaublich präzise. Eine Präzision, in der man sich verliere konnte. „Ich kann so zeichnen wie ich eben zeichne, genauso wie ich singen kann, wie ich singe. Ich würde sagen, dass ich beides nicht gut kann.“ Die Antwort reichte ihr um ein Stativ aufzubauen, auf dem sie einen großen weißen Block Papier aufstellte und mir einen Bleistift in die Hand drückte. „Ich soll etwas malen?“ „Zeichnen.“, antwortete sie. „Dann musst du aber auch etwas für mich machen.“ Sie war neugierig, worauf ich hinaus wollte. „Und was?“ Ich glaube, ich hätte wirklich alles sagen können. „Ich zeichne und du schreibst etwas.“ Während des Gesprächs kam Gina mir immer näher, doch als ich mit meinem Satz fertig war, drehte sie sich blitzartig um und schrieb etwas auf einen Zettel. Ein paar Sekunden später knickte sie den Zettel und streckte ihn in meine Richtung. Als ich ihn nehmen wollte, zog sie ihn wieder zu sich und sagte: „Erst lesen, wenn du wieder in Deutschland bist.“ Ich nickte und nahm den Zettel. An diesem Abend kam ich allerdings nicht mehr zum Zeichnen. Ich sag mal so, wir beide fanden einfach, dass wir richtig super Küsser waren.
Julian saß am nächsten Morgen wieder am Esstisch als ich in die Wohnung kam. Seine Haare, wie die von Richard David Precht und die Sonne, wie sie durch die halbgeöffnete Jalousien schien, machte ihm ein gestreiftes Muster am ganzen Körper. „Und bist du schon erfolgreich?“ Ich verstand nicht, was er meinte und dachte, er meinte, ob ich erfolgreich war, im Sinne von, ob ich, naja ihr wisst schon und antwortete ihm: „Wir hatten Spaß, danke.“ „Aber hattest ihr auch Sex, mein Lieber?“, hakte er nach. „Nein, wieso?“, sagte ich zögerlich. Es war mir etwas zu persönlich. Er schmunzelte und lachte in sich rein. „Gina lässt sich Zeit. Hätte mich schon gewundert. Das war aber nicht immer so. Hat sie etwas über ihre Vagina erzählt?“ Ich stand verwirrt in der Küchentür. „Julian, was willst du mir sagen?“ Er zeigte auf den Platz vor sich und ich setze mich. „Gina, Cousin“, fing er an, als ob er mir eine Geschichte erzählen wollte, „Gina hat eine magische Vagina.“ Ich wusste nicht genau wie ich reagieren sollte, doch fing instinktiv an zu grinsen, weil mir hier ein 28-jähriger erwachsener Mann etwas über eine magische Vagina erzählen wollte. „Kann sie Wünsche erfüllen oder was ist so magisch an ihr?“ Er erzählte weiter: „Nein Cousin, du verstehst nicht. Alle Kerle, die mit ihr Sex hatten, wurden erfolgreich, in dem was sie machen. Einer verkaufte seine Firma an Microsoft, der andere bekam die oberste Stelle in seinem Supermarkt und wieder einer ist der aufstrebendste Politiker Österreichs.“ Er sagte es mit einer Ernsthaftigkeit, die keinen Spielraum für Zweifel lies. „Du verarschst mich doch gerade oder?“ „Nein Cousin. Erst war es eine kleine Scherzelei in unserer Gruppe, doch dann fing sie selbst an, es zu glauben und achtet seitdem sehr darauf mit wem sie schläft.“ Immer noch verdutzt saß ich ihm entgegen. „Sie glaubt es selbst?“ Julian nickte langsam mit einer großen Bewegung, stand dann auf und verlies den Raum.
2 Tage später traf ich mich wieder mit Gina. Wir waren in einem Park und in so einem alten Gebäude, das typisch Wien ist, keine Ahnung wie das heißt. Es war schön, aber alles wäre noch schöner mit weniger Menschen. Gina fragte mich nie, wie lange ich noch bleibe, Julian auch nicht, spielt hier etwa Platz, Geld und Zeit keine Rolle? Bin ich noch auf der Erde? Es kam mir jedenfalls wie eine andere Welt vor.
Im Park machten wir ein kleines Picknick, küssten uns und redeten. Sie war so geistreich, was mich überraschte, weil sie äußerlich viel zu hübsch aussah, um zusätzlich noch schlau zu sein. Verdammte Vorurteile. Ich sah wie Gina, die silberne Lasche ihrer Dose löste und in ihre Tasche steckte. „Was machst du?“ „Ich habe noch keine Silberne. Und ich will etwas haben, was mich an dich erinnert, wenn du wieder weg bist.“ Zeit spielt also doch eine Rolle in dieser Welt. Ich sagte ihr noch, dass sie so eine Sorglosigkeit ausstrahlt und ich das Gefühl habe, dass sie sich nie richtig Gedanken um die Zukunft machen würde, um Geld und dass es ihr bestimmt egal sein würde, ob sie mal ein Haus besitzen würde. „Die Wohnung. Die gehört mir. Mein Vater ist Josef Duperret.“, sagte sie zu mir, als müsste ich wissen wer das war. Julian erzählte mir später, dass er einer der größten Immobilienmogule Wiens sei. Also hatte ich recht, Gina machte sich keine Sorgen um Geld.
In ihrer Wohnung zeigte sie mir ein paar neue Zeichnungen der letzten Tage. Alles sehr durchmischt. Mal wage Zeichnungen, mal eine perfekt gemalte Landschaft, wofür jeder normale Mensch Jahre oder Jahrzehnte brauchen würde. Ihre Kreativität hatte keine Grenzen. Gina zeigte mir auch ein paar Designs von Kleidern und Hosen, weil sie überlegt etwas mit Mode machen zu wollen. Dann verschwand sie im Bad und kam nackt wieder raus. Nur die Kette mit der silbernen Lasche trug sie noch. Gina wollte, dass ich sie nackt malte. Das heißt, dass ich auch nackt sein sollte. Ich handelte noch heraus, dass sie ihre Kette tragen durfte und ich meine Unterhose. Mein Selbstvertrauen war noch nicht so hoch, stundenlang nackt herumzustehen.
Heute roch sie nach Rauch. Die ganze Wohnung auch, was auch daran lag, dass wir beide in der Wohnung eine nach der anderen anzündeten. Ich mein, ihr gehört die Wohnung, also ist es doch egal und ja, ich habe wieder geraucht. Gina ging zu dem Fenster, an dem der Stuhl stand, der so zufällig platziert aussah und stellte sich drauf. Das Licht von draußen machte einen sehr harten Schatten auf Ginas Körper und Gesicht. Eine Seite von ihr war komplett in Licht gehüllt und die andere, die nicht zum Fenster zeigte, war stockfinster. Wir hatten auch kein anderes Licht an, außer zwei fast abgebrannte Duftkerzen, deren Vanille Duft nicht gegen den Gestank des Rauchs ankamen.
Ich fing an zu zeichnen und wir redeten gute zwei Stunden kein Wort. Sie stand einfach auf dem Stuhl, ohne eine Pose zu machen. So pur, selbstbewusst und ohne Scham. Als meine Zeichnung fertig war, holte ich sie zu mir. Gina betrachtete es ein paar Minuten lang und sagte dann: „Du bist ein waschechter Künstler.“ Das Bild zeigte eine Silhouette einer nackten Frau, doch nicht alles stellte ich detailliert dar. Vieles war nur angedeutet. Ihr Bauch war detailliert, die Formen ihrer Brüste waren erkennbar, doch die Brustwarzen waren kaum existent. Ihre Arme und Beine waren einfach gezeichnet, die Lippen, Haare und Augen wieder sehr detailliert, eine Nase nur angedeutet. Der Blickfang war aber die Kette mit ihrer silbernen Dosenlasche, die zwischen ihren Brüsten hing. „Ich habe versucht dich so zu zeigen, wie ich dich sehe.“, sagte ich. „Warum hast du da nichts gemalt?“ Gina zeigte auf den Bereich der Vagina. „Es…“, fing ich an, „es spielte keine große Rolle für mich.“ Sie hatte plötzlich einen etwas ernsteren Ton aufgelegt und sagte: „Kannst du irgendwas besonders gut?“ Verwirrt: „Ich weiß nicht.“ „Julian hat dir bestimmt davon erzählt, oder?“ Ich konnte nicht glauben, dass sie darauf hinaus wollte und ich spielte den Ahnungslosen. „Was? Ich weiß nicht-“ „Von meiner Vagina. Das sie magisch ist.“ Ich konnte nicht glauben, dass sie selber so von ihrer Vagina redete und musste innerlich lachen. „Doch, jetzt wo du es sagst. Das hat er erwähnt.“, entgegnete ich mit sarkastischem Unterton. „Es stimmt.“, sagte sie und flüsterte mir dann ins Ohr: „Und ich möchte, dass du erfolgreich bist.“ Mit diesen Worten nahm sie meine Hand und wir gingen ins Schlafzimmer. Ich würde gerne in allen Details beschreiben, was sich dort zutrug, allerdings wäre das nicht christlich und nach dieser Nacht, bleibt mir nicht anderes übrig als an Gott zu glauben.
Wieder ein paar Tage später, ich weiß wirklich nicht wie viele, wie gesagt Zeit spielt in Wien keine Rolle, kam ich wieder zu Julian und er saß wieder genauso da, wie ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, als hätte er sich die letzten Tage nicht bewegt. „Du hast es geschafft nicht wahr?“, war sein erster Satz als ich in die Tür trat. Ich nickte nur verlegen. „Glückwunsch, Cousin. Ich hoffe, es ist okay, dass ich dich die nächsten Tage alleine lasse. Ich will meine Freundin besuchen.“ Seine Freundin wohnte in Linz. Das ist auch irgendwo in Österreich. Ich wusste gar nicht, dass er eine Freundin hatte oder was sein Job war. Interessiere ich mich so wenig für meine Mitmenschen?
Die nächsten Tage waren leider etwas ernüchternd. Gina antworte auf keine meiner Nachrichten und auch bei einem Treffen der Gang war sie nicht da. Ist das ihre Masche? Einen Typen erfolgreich ficken und ihn nie wieder sehen? Der eine Abend mit der Gang war trotzdem witzig. Sie nahmen mich auch ohne Julian gut auf. Ein Kerl hieß Qualle, warum auch immer und erzählte mir einen Witz, den er von allen Anwesenden selbst am witzigsten fand. „Was sagt ein Serienkiller zu Mozart? Auf der Kugel steht dein Name.“ Hä?
Als Julian wieder da war, gingen wir mit der Gang bowlen. Gina kam auch und begrüßte mich als letztes mit einer herzlichen Umarmung. Danach nahm sie direkt meine Hand und in ihren Augen konnte man: „Es tut mir leid“, ablesen. Ich war richtig glücklich. Beim Bowlen machte mir keiner etwas vor und ich war mit Abstand der Beste. Gina setzte sich zwischen den Runden auf meinen Schoß und es wirkte alles sehr vertraut. Mein Sieg wurde von allen anderen auf meine deutschen Gene abgeschoben. Ich ärgerte sie zurück und nannte sie Österreicher, worauf sie dann immer sagten, dass sie Wiener sind und keine Österreicher. Ich liebte die alle für ihren Humor. Nach dem Essen, setzten sich Gina und ich auf eine Bank. Es war schon echt kalt, trotzdem hab ich ihr meine Jacke um die Schultern gelegt. „Ich wollte mich noch entschuldigen. Ich war irgendwie doof.“, sagte Gina. Mit diesem Akzent konnte ich leider nicht wütend auf jemanden sein. „Ich-“, sagte sie weiter. „Ich habe mich mit einem anderen getroffen und wollte mit ihm schlafen. Doch als wir bei mir waren, schaute er sich die Bilder und Zeichnungen an. Er blieb vor deiner Zeichnung am längsten stehen und lobte mich dafür, wie künstlerisch das Bild sei. Da merkte ich, wie besonders du bist und dass ich dich irgendwie sehr mag. Wenn nicht sogar liebe., keine Ahnung. So kitschig.“ Hier ein kleines Abbild meiner Gedanken in der Situation: „Was? Du- Ich. Was? Aber?! Und dann? Fuck! Keine Ahnung. Echt?! Hä??!“ Ich zögerte mit meiner Antwort und sagte dann sehr durchdacht. „Ich liebe dich nicht, Gina. Du bist toll, wunderschön und klug, aber-“, sie stand auf und ging, mit meiner Jacke, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Das war wahrscheinlich der ehrlichste Moment meines Lebens.
Julian meinte, nachdem ich ihm die Geschichte erzählt hatte: „Aber Cousin, sie hat dich erfolgreich gefickt, freu dich darüber.“ Diese Worte waren ein schwacher Trost. Ich packte meine Sachen zusammen, um zurück in den Alltag zu fahren. Das nächste Treffen der Gang sagte ich ab und ich fragte Julian auch nicht, ob Gina da war. Ich fühlte mich verletzt, obwohl ich ihr ja den Korb gegeben hatte. Am Abend vor dem Tag, an dem ich zurückfahren wollte, bekam ich dann eine Nachricht von Gina. „Komm heute vorbei, bitte.“ Ich überlegte, ob ich sie anlüge und schreibe, dass ich wieder daheim bin und es mir leid tut, wie alles geendet ist, doch keine Stunde später stand ich vor ihrer Tür. Sie begrüßte mich nicht. Es duftete nach Vanille. Kein Rauchgestank mehr. Neue Duftkerzen brannten ab. Gina trug nur einen seidenen Bademantel, den sie nicht mal zugemacht hatte. Ich bin ehrlich, es gibt schlimmere Begrüßungen.
Im Wohnzimmer bat sie mich, ihr mit ihrer Kette zu helfen. Es war ein abgekartetes Spiel. Ich half ihr und schloß die Kette an ihrem Hals zu, dann drehte sie sich um und der silberne Anhänger schimmerte in dem gedämmten Licht. Auf dem Tisch lagen schon ein paar Kameras vorbereitet. „Ich will, dass du mich fotografiert, wenn ich es dir sage“, sagte sie als ich die Kameras sah. Das war die zweite Hitler-Parallele, erst etwas befehlen und dann abdrücken. Sie war heute kurz angebunden und setzte sich lasziv in Pose. „Ich möchte eine Collage aus den Bildern machen. Kann ja sein, dass es das ist, was du gut kannst.“ Ich wechselte hin und wieder die Kameras und sie ihre Pose. Bei einer Pose zögerte ich mit dem Abdrücken. Sie saß breitbeinig auf einem Stuhl. „Willst du wirklich, dass jeder das sehen kann?“, dachte ich. Als könnte sie meine Gedanken lesen, warf sie mir einen Blick zu, der sagte: „Ja, ich will das. Mach das Foto.“
In einer kurzen Pause, trank sie einen Schluck Wasser, ich stand hinter ihr und strich mit zwei Fingern ihren Rücken entlang. Am Steißbein fühlte ich diese kleinen Härchen. Das war eigentlich immer der Ablauf nach dem Sex. Doch sie wollte in dem Moment diese Nähe nicht und ging ins Treppenhaus. Es war mir unangenehm dort Fotos zu machen, quasi in der Öffentlichkeit, aber keiner sah uns. Als wir fertig waren, sagte Gina: „Danke. Du kannst gehen, wenn du willst“, und ging ins Schlafzimmer. Ich wollte aber nicht gehen und folgte ihr. Ein paar Minuten später streichelte ich wieder ihren unteren Rücken, ihr Steißbein und fühlte wieder die kleinen feinen Härchen.
Später in der Nacht wurde ich mit einem Tritt in die Hüfte geweckt. Mit zwei weiteren Tritten wurde ich aus dem Bett geworfen. „Du Wichser, du Hurensohn! Wer ist sie?“ Ich hatte keine Ahnung wovon sie redete. „Wer ist Clara?“, sagte sie und hielt mein Handy in der Hand, auf dem ein Anruf von Clara gerade einging. „Liebst du sie?“ Gina schrie mich an und ich saß noch immer nackt auf dem Boden. Dann warf sie mich mit meinen Klamotten ab und scheuchte mich penetrant in Richtung Tür, die dann auch vor meiner Nase in die Angeln fielen. Genau jetzt kam natürlich ein junges Paar durchs Treppenhaus. Ich zog mich an und ging im strömenden Regen zu Julians Wohnung. Meine Jacke, die sie den einen Abend mitnahm, habe ich nie wieder gesehen.
Mein Korb nagte wohl noch sehr an Gina. Sie ist so eine, die, glaube ich, noch nie richtig Zurückweisung erfahren hat und mit dem letzten Treffen wollte sie mich doch noch für sie begeistern. Nur für ihr Ego. Der Satz: „Du hässlicher Wichser.“, nagte jetzt an mir. Am nächsten Morgen verabschiedete ich mich von Julian und bedankte mich für alles. Ich hatte ganz vergessen Clara zurückzurufen und konnte auch noch nicht darüber nachdenken, was es bedeutet, dass sie sich endlich gemeldet hatte. Zuhause angekommen, war Lars extrem abgefuckt. „Warum antwortest du denn nicht auf meine Nachrichten? Wo warst du die letzen 3 Wochen?“ 3 Wochen war ich weg. Wow. Kam mir kürzer vor. Aber kaum war ich wieder hier, erfuhr ich die traurigste Lektion des Reisens: Dass sich nichts, rein gar nichts ändert, wenn man wieder Zuhause ist und alles wie vorher ist. Ich wünschte mir wieder einen Strick und einen anderen Mitbewohner.
Ein paar Tage nach meiner Rückkehr fand ich in meinem Rucksack noch den Zettel, auf dem Gina ihren Text schrieb. Ich stellte mir vor, wie sie auf dem kleinen Stuhl am Fenster saß, ihre Kette mit der silbernen Lasche anfasst und diesen Text mit ihrem süßen österreichischen Akzent liest. Es sollte das vorletzte Mal sein, dass ich an sie dachte.
Die Farben des Jänners
Im Winter ist es kalt. Dem Atem wird ein Leben geschenkt. Der Schnee ist weiß.
Verführerisch seine Spuren dort zu hinterlassen.
Ein neues Jahr. Eine neue Chance für die, die es noch nicht geschafft haben.
Eine neue Chance, seine eigenen Spuren zu hinterlassen.
Also hoch auf die Beine. Ignoriere die Stoppschilder des Lebens, die Blicke der anderen.
Augen auf die Straße, auch wenn es dunkel ist.
Versagt hat man erst, wenn man aufgibt und die Schuhe in den Keller stellt.
Im Frühling schmilzt der Schnee, im Sommer ist nicht mehr an ihn zu denken, aber die Spuren, sie können bleiben, in der dunklen Erde, wenn sie tief genug sind.
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Samstag, 30. Juli 2022
3 - Ein Hauch Frankreich schadet nie
pierre-philippe scharf, 22:43h
Ein Hauch Frankreich schadet nie
'Ja, ja und ja', antwortete ich auf ihre Fragen. Ja ich komme aus der Stadt, ja ich bin nicht alleine hier und ja ich hole gerne noch etwas zu trinken. Ich glaube, auf die zweite Frage hätte ich korrekter halber mit Nein antworten müssen. Na ja, es war eh so laut in dem Club, dass sie mich wahrscheinlich gar nicht verstanden hat. So ging es mir jedenfalls. Ich beobachtete einfach ihre strahlend weißen Zähne, wie sie mal aufblitzten und mal im Mund verschwanden. Doch eine Sache stach sofort ins Auge. Ihre beiden oberen Schneidezähne waren von oben nach unten waagerecht geriffelt. Der Kontrast mit den Zähnen daneben machte einen sofort stutzig, als ob etwas nicht stimmte. Ich musste an Riffelpommes aus dem Freibad denken. Ja, genauso sah es aus. Bin ich jetzt ein Arsch, weil ich aus dem Club gegangen bin, als ich ihr sagte, dass ich noch ein paar Drinks hole? Please, don't judge me, aber als mir das aufgefallen ist, habe ich sofort das Interesse verloren. Lisa-Maria hieß sie. Da wollten ihre Eltern wohl, dass sie mit dem a aus der Reihe tanzt zwischen den ganzen Lisa-Maries.
Ich sagte Lars, meinem Mitbewohner, nicht mal Bescheid, dass ich ging. Scheiß drauf. Er war mir eh egal. Ich ging die Straße etwas runter. Die frische Luft tat mir gut, ich hatte schon gut getankt. Ich hatte keine Ahnung wie ich jetzt ein Taxi bekommen sollte, setzte mich an den Straßenrand und raufte mir die Haare. 'Ist alles in Ordnung?', hörte ich eine Frauenstimme sagen. Ich drehte mich um. Sie stand direkt hinter mir. Um sie zu sehen, musste ich mich einmal ganz rumdrehen. Als ich es versuchte, fiel ich wegen meines Pegels fast um. 'Oh ganz vorsichtig. Geht schon mal vor, Leute. Ich komme gleich nach', sagte sie zu ihren Freunden, mit denen sie da war. Sie wollten wohl auch in den Club.
Sie setzte sich neben mich auf den Bordstein. 'Hast du auch einen Namen?' Ich habe sie immer noch nicht angeschaut. Ich sah nur aus dem Augenwinkel, dass sie eine Jeans und weiße Sneaker trägt. Sie waren etwas abgetragen, sehr dünne Beine.
'Ja hab ich und du?' Ich weiß nicht, was mit mir los war. Mit dem Pegel konnte ich wohl nur Ja sagen. 'Ich heiße Camille.' 'Es sind die Haare, oder?', fragte ich in einem sehr genervten Ton. 'Ich kann mich, seit ich beim Friseur war, vor Frauen gar nicht mehr retten.' In meiner Erinnerung habe ich alles gut artikuliert, aber in Wahrheit lallte ich vor mir her.
'Oh, sorry, ich wollte dich nicht belästigen. Du sahst so verloren aus.' Damit hatte sie wohl auch recht. Im übertragenen Sinne, in Bezug auf alles, auf mein ganzes Leben. 'Du bist doch auch nur so eine wie jede. Hier und da nett sein oder nur so tun und dann nö.' Mein alkoholgetränktes Hirn machte, was es wollte. 'Was soll ich von einer Frau halten, die sich einfach so zu einem fremden Typen setzt? Das machst du doch bestimmt bei jedem. Ist das nicht etwas-' Schlampig konnte ich zum Glück nicht aussprechen. Es wäre auch unfair gewesen und absolut falsch. Eine nette junge Frau fragt, ob sie einem betrunkenen Typen helfen kann. Warum bin ich nur so ein Arsch, warum?!?! 'Wer hat dir bloß so sehr dein Herz gebrochen?', sagte sie mir pur ins Gesicht. Ich spürte, wie ihr Blick mich durchdrang. Jetzt wollte ich sie aus Scham nicht mehr ansehen.
Ich stand auf und wollte eigentlich darauf noch etwas sagen, aber es kam nichts richtig raus. 'Weißt du, äh, weißt du, also.' Ich ließ es gut sein und ging nach Hause. Da schickte mir Gott einen Engel und ich würdigte ihn keines Blickes. Ich muss endlich wieder klarkommen.
Jetzt, wo die Story ein paar Tage her ist, habe ich darüber ein kleines Gedicht geschrieben. Es ist mein erstes, also nicht zu viel erwarten, aber ich finde, dass es den Abend ganz gut zusammenfasst.
Die Unbekannte vom Bordstein
Verloren am Bordstein sitzend, sprach sie mich an
Ich erkannte, dass es eine Frau ist, an ihrem Klang.
Fürsorglich ließ sie ihre Freunde für mich warten,
Ich aber starrte nur auf ihre Schuhe und Jeans, keine großen Marken.
Ich stellte mich nicht vor und war grundlos doof zu ihr,
Dankbar hätte ich sein sollen, auf einer Skala von 10 bin ich nur 'ne Vier.
Ich schaute sie nicht an, ich wollte mich nicht verlieben,
Keine Lovestory mit Sex, Hochzeit und Kinderkriegen.
Ich flüchtete also ängstlich und eilig vor Camille,
Im Nachhinein schade, denn ein Hauch Frankreich schadet nie.
'Ja, ja und ja', antwortete ich auf ihre Fragen. Ja ich komme aus der Stadt, ja ich bin nicht alleine hier und ja ich hole gerne noch etwas zu trinken. Ich glaube, auf die zweite Frage hätte ich korrekter halber mit Nein antworten müssen. Na ja, es war eh so laut in dem Club, dass sie mich wahrscheinlich gar nicht verstanden hat. So ging es mir jedenfalls. Ich beobachtete einfach ihre strahlend weißen Zähne, wie sie mal aufblitzten und mal im Mund verschwanden. Doch eine Sache stach sofort ins Auge. Ihre beiden oberen Schneidezähne waren von oben nach unten waagerecht geriffelt. Der Kontrast mit den Zähnen daneben machte einen sofort stutzig, als ob etwas nicht stimmte. Ich musste an Riffelpommes aus dem Freibad denken. Ja, genauso sah es aus. Bin ich jetzt ein Arsch, weil ich aus dem Club gegangen bin, als ich ihr sagte, dass ich noch ein paar Drinks hole? Please, don't judge me, aber als mir das aufgefallen ist, habe ich sofort das Interesse verloren. Lisa-Maria hieß sie. Da wollten ihre Eltern wohl, dass sie mit dem a aus der Reihe tanzt zwischen den ganzen Lisa-Maries.
Ich sagte Lars, meinem Mitbewohner, nicht mal Bescheid, dass ich ging. Scheiß drauf. Er war mir eh egal. Ich ging die Straße etwas runter. Die frische Luft tat mir gut, ich hatte schon gut getankt. Ich hatte keine Ahnung wie ich jetzt ein Taxi bekommen sollte, setzte mich an den Straßenrand und raufte mir die Haare. 'Ist alles in Ordnung?', hörte ich eine Frauenstimme sagen. Ich drehte mich um. Sie stand direkt hinter mir. Um sie zu sehen, musste ich mich einmal ganz rumdrehen. Als ich es versuchte, fiel ich wegen meines Pegels fast um. 'Oh ganz vorsichtig. Geht schon mal vor, Leute. Ich komme gleich nach', sagte sie zu ihren Freunden, mit denen sie da war. Sie wollten wohl auch in den Club.
Sie setzte sich neben mich auf den Bordstein. 'Hast du auch einen Namen?' Ich habe sie immer noch nicht angeschaut. Ich sah nur aus dem Augenwinkel, dass sie eine Jeans und weiße Sneaker trägt. Sie waren etwas abgetragen, sehr dünne Beine.
'Ja hab ich und du?' Ich weiß nicht, was mit mir los war. Mit dem Pegel konnte ich wohl nur Ja sagen. 'Ich heiße Camille.' 'Es sind die Haare, oder?', fragte ich in einem sehr genervten Ton. 'Ich kann mich, seit ich beim Friseur war, vor Frauen gar nicht mehr retten.' In meiner Erinnerung habe ich alles gut artikuliert, aber in Wahrheit lallte ich vor mir her.
'Oh, sorry, ich wollte dich nicht belästigen. Du sahst so verloren aus.' Damit hatte sie wohl auch recht. Im übertragenen Sinne, in Bezug auf alles, auf mein ganzes Leben. 'Du bist doch auch nur so eine wie jede. Hier und da nett sein oder nur so tun und dann nö.' Mein alkoholgetränktes Hirn machte, was es wollte. 'Was soll ich von einer Frau halten, die sich einfach so zu einem fremden Typen setzt? Das machst du doch bestimmt bei jedem. Ist das nicht etwas-' Schlampig konnte ich zum Glück nicht aussprechen. Es wäre auch unfair gewesen und absolut falsch. Eine nette junge Frau fragt, ob sie einem betrunkenen Typen helfen kann. Warum bin ich nur so ein Arsch, warum?!?! 'Wer hat dir bloß so sehr dein Herz gebrochen?', sagte sie mir pur ins Gesicht. Ich spürte, wie ihr Blick mich durchdrang. Jetzt wollte ich sie aus Scham nicht mehr ansehen.
Ich stand auf und wollte eigentlich darauf noch etwas sagen, aber es kam nichts richtig raus. 'Weißt du, äh, weißt du, also.' Ich ließ es gut sein und ging nach Hause. Da schickte mir Gott einen Engel und ich würdigte ihn keines Blickes. Ich muss endlich wieder klarkommen.
Jetzt, wo die Story ein paar Tage her ist, habe ich darüber ein kleines Gedicht geschrieben. Es ist mein erstes, also nicht zu viel erwarten, aber ich finde, dass es den Abend ganz gut zusammenfasst.
Die Unbekannte vom Bordstein
Verloren am Bordstein sitzend, sprach sie mich an
Ich erkannte, dass es eine Frau ist, an ihrem Klang.
Fürsorglich ließ sie ihre Freunde für mich warten,
Ich aber starrte nur auf ihre Schuhe und Jeans, keine großen Marken.
Ich stellte mich nicht vor und war grundlos doof zu ihr,
Dankbar hätte ich sein sollen, auf einer Skala von 10 bin ich nur 'ne Vier.
Ich schaute sie nicht an, ich wollte mich nicht verlieben,
Keine Lovestory mit Sex, Hochzeit und Kinderkriegen.
Ich flüchtete also ängstlich und eilig vor Camille,
Im Nachhinein schade, denn ein Hauch Frankreich schadet nie.
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Montag, 18. April 2022
2 - Du hast etwas Tragisches in deinen Augen
pierre-philippe scharf, 18:48h
Du hast etwas Tragisches in deinen Augen
Du hast etwas Tragisches in deinen Augen. Wie konnte sie so etwas zu mir sagen. Sag doch gleich, dass ich wie ein trauriger Lump wirke und ein Lächeln nur aus der Werbung kenne.
Lars, mein Mitbewohner, kam Freitag Nachmittag in mein Zimmer. Standesgemäß klopfte er zweimal, bevor er hineinging, ohne, dass ich ihm ein Zeichen gab, dass er eintreten durfte. Ich hätte alles machen können, ich hätte eine Frau bei mir haben können, okay wir wollen nicht in Fiktion abdriften. Ich lag auf dem Bett und starrte die Decke an. "Hast du Lust, nachher mit zu einer Freundin zugehen? Da ist sowas wie eine kleine Party." Bei den Worten "sowas wie eine kleine Party" bekam ich einen Kotzreiz. Entweder ist es eine Party oder ein Sit-In und damit meine ich nicht eine friedliche Demonstration, bei der sich alle auf den Boden setzen. "Ein paar Arbeitskollegen kommen und auch ein paar Single-Damen." Mit Single-Damen meinte er keine alten Frauen, die man aus Höflichkeit Damen statt alte Frauen nennt, sondern einfach Frauen, hoffentlich in unserem Alter. Ich kannte Lars jetzt schon 4 Monate und ich hatte keine Ahnung, was er beruflich macht. Er sagte nur immer, er geht ins Büro. Im Büro kann man auch putzen. In unserer jungen Freundschaft, wobei Freundschaft schon ziemlich hochgegriffen ist, ich weiß schließlich nicht mal als was er arbeitet, haben wir uns darauf verständigt, kurz Bescheid zugeben, falls jemand mal einen Damenbesuch hat. Deswegen hat sich das Wort Dame bei uns durchgesetzt. In der Hinsicht steht es übrigens 4-0 für Lars.
Er erkannte also, was ich erst in diesem Augenblick erkannte, mein Sozialleben ist nicht vorhanden, sodass er aus Mitleid fragt, ob ich mit zu seiner "kleinen Party" gehen möchte. Ich war jetzt seit 4 Monaten hier in dieser Stadt und hatte bis auf Lars keinen einzigen Menschen gesprochen. Ich war nicht mal beim Friseur. Meine Haare hingen mir im Gesicht rum. Es gab nur mich und meinen Blog, den ich schreibe. Ich sagte also ja und wir gingen hin.
In einem Hemd, das ich auf dem Boden meines Schrankes fand, und mit zurück gegelten Haaren standen wir vor der Tür von seiner Arbeitskollegin Flo. Lars meinte zu Hause noch, dass das eine chillige Runde wird und ich völlig overdressed sei, aber ich zog es dennoch an und hatte es auf dem Weg in den 6. Stock voll geschwitzt. Wie hoch soll ein Haus noch werden?
Ich fragte mich die ganze Zeit für welchen Mädchennamen, Flo die Abkürzung ist. Ich hatte nicht mal den Hauch einer einzigen Idee. Als sie die Tür öffnete, stellte mich Lars ihr als sein Freund und Mitbewohner vor. Ich fragte sie sofort wofür Flo die Abkürzung ist. Doch bevor sie antworten konnte, schob ich noch fragend "Florence?", nach. Es klang, glaube ich, auch etwas verzweifelt, aber ich wenigstens einen Tipp abgeben. Sie lachte und sagte, dass sie einfach Flo heißt. Ich fand die Antwort so bescheuert, dass ich wieder gehen wollte.
Drinnen saß ihr Freund, ein weiteres Paar, ein anderer Typ, leider verdammt gut aussehend, ich hasste ihn sofort und zwei Mädels. Das mussten die Single-Damen sein. Mit beiden hätte ich gut leben können. Leider waren wir die letzten Gäste und der Typ hatte seine Angel schon ausgeworfen.
Um das Eis zu brechen, schlug Lars vor, ein Spiel zu spielen. Er nannte es: Der erste Eindruck. Zwei Leute setzten sich gegenüber und sollen nacheinander Sachen aufzählen, die ihnen beim Gegenüber auffallen. Der hübsche Typ wollte sofort starten und zog das Mädchen, das er an der Angel hatte, auf den Stuhl. Man durfte nicht lange überlegen, sondern einfach ungefiltert sagen, was einem auffällt. Das Mädchen fing an mit "sympathisch." Er sagte, lebensfroh. Sie schmissen sich locker 15 bis 20 Wörter an den Kopf, bis sie dann anfingen zu flirten. "Starke Arme, runder Hintern, anziehende Augen, volle Lippen." Jedem im Raum war es irgendwann unangenehm.
Als sie dann anfingen vor ihren Wörtern rum zu ähmen, fragte ich Lars, ob er mir noch ein Bier vom Balkon holen könnte, da er neben der Tür saß. Die beiden würden gleich keine Wörter mehr finden und ich wollte, dass ich das Spiel mit der anderen Single-Dame spielte und nicht Lars.
Die Single-Dame hieß Linda. Ich dachte eigentlich immer, dass nur Frauen Mitte 30 Linda heißen würden. Wie heißen Lindas, wenn sie jünger oder älter sind? Sie sah auch eher aus wie eine Sarah oder Lena, wie auch immer die aussehen.
Wir saßen uns gegenüber. Ich wollte flirten und sie kennenlernen und im besten Fall heute mit nach Hause nehmen. Ich fing sofort an. Eventuell sogar etwas übermütig. "Schönes Lächeln" "Groß" "Hübsche Haare" Sie musterte mich. War das ihr Ernst? Beim zweiten Wort, weiß sie schon nicht mehr, was sie sagen soll? Sie merkte, meine Zweifel und sagte mit einem Lächeln: "Starke Hände." Ich spürte, wie das Mitleids-Messer tief in meine Brust stach. Sie fand mich nicht attraktiv. Zu null Prozent. Ich war groß, aber viel zu dünn, viel zu lange Haare, sodass man keine Frisur erkennen konnte und bleich wie eine Leiche, war ich auch noch. Meine Hände sind übrigens sehr zierlich. Sie hat sogar gelogen. Ich sagte darauf: "Toller Modegeschmack." Ich habe zwar keine Ahnung von Mode, aber ihre Kleidung sah nicht Scheiße aus. Ich wollte noch nicht aufgeben und ins Flirten kommen. Sie zögerte wieder. Es waren locker 10 Sekunden, bis sie mich anguckte und sagte: "Du hast etwas Tragisches in deinen Augen." Wie konnte sie so etwas zu mir sagen. Sag doch gleich, dass ich wie ein trauriger Lump wirke und ein Lächeln nur aus der Werbung kenne.
Ich fühlte mich Schachmatt gesetzt. Sie hat ja nicht "tragische Augen" oder "besondere Augen" oder nur "Augen" gesagt. Sie hat einen ganzen Satz gebildet und ausgesprochen, als Erste überhaupt in diesem Spiel. Und so einen Satz bildet man nicht einfach spontan. Es war bestimmt das Erste, was ihr aufgefallen ist und es lag ihr die ganze Zeit auf der Zunge. Als ich "schönes Lächeln" sagte, dachte sie nur an meine tragischen Augen und daran, wie komisch es sein wird, wenn sie es anspricht.
Nach ein paar Sekunden Ruhe, aber nicht nur 2,3, sondern eher 10 Sekunden, sodass jeder merkte, dass etwas nicht stimmte, sagte ich noch mit einem Lächeln: "Ich glaube, ich hab das Spiel verloren. Mir fällt dazu nichts mehr ein." Der Freund von Flo musste sich die ganze Zeit das Lachen verkneifen.
Kurz darauf verließ ich die kleine Party. Ich schrieb danach bestimmt 4 Wochen keinen Blogeintrag mehr. Sorry dafür, aber diese "kleine Party" hat mich verändert.
Du hast etwas Tragisches in deinen Augen. Wie konnte sie so etwas zu mir sagen. Sag doch gleich, dass ich wie ein trauriger Lump wirke und ein Lächeln nur aus der Werbung kenne.
Lars, mein Mitbewohner, kam Freitag Nachmittag in mein Zimmer. Standesgemäß klopfte er zweimal, bevor er hineinging, ohne, dass ich ihm ein Zeichen gab, dass er eintreten durfte. Ich hätte alles machen können, ich hätte eine Frau bei mir haben können, okay wir wollen nicht in Fiktion abdriften. Ich lag auf dem Bett und starrte die Decke an. "Hast du Lust, nachher mit zu einer Freundin zugehen? Da ist sowas wie eine kleine Party." Bei den Worten "sowas wie eine kleine Party" bekam ich einen Kotzreiz. Entweder ist es eine Party oder ein Sit-In und damit meine ich nicht eine friedliche Demonstration, bei der sich alle auf den Boden setzen. "Ein paar Arbeitskollegen kommen und auch ein paar Single-Damen." Mit Single-Damen meinte er keine alten Frauen, die man aus Höflichkeit Damen statt alte Frauen nennt, sondern einfach Frauen, hoffentlich in unserem Alter. Ich kannte Lars jetzt schon 4 Monate und ich hatte keine Ahnung, was er beruflich macht. Er sagte nur immer, er geht ins Büro. Im Büro kann man auch putzen. In unserer jungen Freundschaft, wobei Freundschaft schon ziemlich hochgegriffen ist, ich weiß schließlich nicht mal als was er arbeitet, haben wir uns darauf verständigt, kurz Bescheid zugeben, falls jemand mal einen Damenbesuch hat. Deswegen hat sich das Wort Dame bei uns durchgesetzt. In der Hinsicht steht es übrigens 4-0 für Lars.
Er erkannte also, was ich erst in diesem Augenblick erkannte, mein Sozialleben ist nicht vorhanden, sodass er aus Mitleid fragt, ob ich mit zu seiner "kleinen Party" gehen möchte. Ich war jetzt seit 4 Monaten hier in dieser Stadt und hatte bis auf Lars keinen einzigen Menschen gesprochen. Ich war nicht mal beim Friseur. Meine Haare hingen mir im Gesicht rum. Es gab nur mich und meinen Blog, den ich schreibe. Ich sagte also ja und wir gingen hin.
In einem Hemd, das ich auf dem Boden meines Schrankes fand, und mit zurück gegelten Haaren standen wir vor der Tür von seiner Arbeitskollegin Flo. Lars meinte zu Hause noch, dass das eine chillige Runde wird und ich völlig overdressed sei, aber ich zog es dennoch an und hatte es auf dem Weg in den 6. Stock voll geschwitzt. Wie hoch soll ein Haus noch werden?
Ich fragte mich die ganze Zeit für welchen Mädchennamen, Flo die Abkürzung ist. Ich hatte nicht mal den Hauch einer einzigen Idee. Als sie die Tür öffnete, stellte mich Lars ihr als sein Freund und Mitbewohner vor. Ich fragte sie sofort wofür Flo die Abkürzung ist. Doch bevor sie antworten konnte, schob ich noch fragend "Florence?", nach. Es klang, glaube ich, auch etwas verzweifelt, aber ich wenigstens einen Tipp abgeben. Sie lachte und sagte, dass sie einfach Flo heißt. Ich fand die Antwort so bescheuert, dass ich wieder gehen wollte.
Drinnen saß ihr Freund, ein weiteres Paar, ein anderer Typ, leider verdammt gut aussehend, ich hasste ihn sofort und zwei Mädels. Das mussten die Single-Damen sein. Mit beiden hätte ich gut leben können. Leider waren wir die letzten Gäste und der Typ hatte seine Angel schon ausgeworfen.
Um das Eis zu brechen, schlug Lars vor, ein Spiel zu spielen. Er nannte es: Der erste Eindruck. Zwei Leute setzten sich gegenüber und sollen nacheinander Sachen aufzählen, die ihnen beim Gegenüber auffallen. Der hübsche Typ wollte sofort starten und zog das Mädchen, das er an der Angel hatte, auf den Stuhl. Man durfte nicht lange überlegen, sondern einfach ungefiltert sagen, was einem auffällt. Das Mädchen fing an mit "sympathisch." Er sagte, lebensfroh. Sie schmissen sich locker 15 bis 20 Wörter an den Kopf, bis sie dann anfingen zu flirten. "Starke Arme, runder Hintern, anziehende Augen, volle Lippen." Jedem im Raum war es irgendwann unangenehm.
Als sie dann anfingen vor ihren Wörtern rum zu ähmen, fragte ich Lars, ob er mir noch ein Bier vom Balkon holen könnte, da er neben der Tür saß. Die beiden würden gleich keine Wörter mehr finden und ich wollte, dass ich das Spiel mit der anderen Single-Dame spielte und nicht Lars.
Die Single-Dame hieß Linda. Ich dachte eigentlich immer, dass nur Frauen Mitte 30 Linda heißen würden. Wie heißen Lindas, wenn sie jünger oder älter sind? Sie sah auch eher aus wie eine Sarah oder Lena, wie auch immer die aussehen.
Wir saßen uns gegenüber. Ich wollte flirten und sie kennenlernen und im besten Fall heute mit nach Hause nehmen. Ich fing sofort an. Eventuell sogar etwas übermütig. "Schönes Lächeln" "Groß" "Hübsche Haare" Sie musterte mich. War das ihr Ernst? Beim zweiten Wort, weiß sie schon nicht mehr, was sie sagen soll? Sie merkte, meine Zweifel und sagte mit einem Lächeln: "Starke Hände." Ich spürte, wie das Mitleids-Messer tief in meine Brust stach. Sie fand mich nicht attraktiv. Zu null Prozent. Ich war groß, aber viel zu dünn, viel zu lange Haare, sodass man keine Frisur erkennen konnte und bleich wie eine Leiche, war ich auch noch. Meine Hände sind übrigens sehr zierlich. Sie hat sogar gelogen. Ich sagte darauf: "Toller Modegeschmack." Ich habe zwar keine Ahnung von Mode, aber ihre Kleidung sah nicht Scheiße aus. Ich wollte noch nicht aufgeben und ins Flirten kommen. Sie zögerte wieder. Es waren locker 10 Sekunden, bis sie mich anguckte und sagte: "Du hast etwas Tragisches in deinen Augen." Wie konnte sie so etwas zu mir sagen. Sag doch gleich, dass ich wie ein trauriger Lump wirke und ein Lächeln nur aus der Werbung kenne.
Ich fühlte mich Schachmatt gesetzt. Sie hat ja nicht "tragische Augen" oder "besondere Augen" oder nur "Augen" gesagt. Sie hat einen ganzen Satz gebildet und ausgesprochen, als Erste überhaupt in diesem Spiel. Und so einen Satz bildet man nicht einfach spontan. Es war bestimmt das Erste, was ihr aufgefallen ist und es lag ihr die ganze Zeit auf der Zunge. Als ich "schönes Lächeln" sagte, dachte sie nur an meine tragischen Augen und daran, wie komisch es sein wird, wenn sie es anspricht.
Nach ein paar Sekunden Ruhe, aber nicht nur 2,3, sondern eher 10 Sekunden, sodass jeder merkte, dass etwas nicht stimmte, sagte ich noch mit einem Lächeln: "Ich glaube, ich hab das Spiel verloren. Mir fällt dazu nichts mehr ein." Der Freund von Flo musste sich die ganze Zeit das Lachen verkneifen.
Kurz darauf verließ ich die kleine Party. Ich schrieb danach bestimmt 4 Wochen keinen Blogeintrag mehr. Sorry dafür, aber diese "kleine Party" hat mich verändert.
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Dienstag, 22. Februar 2022
Bella Italia
pierre-philippe scharf, 19:22h
Auch zu hören im Podcast "Teil der Story"
Bella Italia
von Pierre-Philippe Scharf
Ich strich auf meinem Zettel Verona durch und es standen nur noch Florenz, Rom und Sizilien auf ihm. Ich verließ die Stadt nur ungerne, aber ich musste weiter. Ich würde die verrückte Lebensweise und Aufgeschlossenheit von Valentina wohl nie mehr vergessen. Genauso wenig wie den schönen Abend auf dem Balkon. Verona war aber nunmal nur ein Zwischenstopp und genauso wie schon in Salzburg war es kein Abschied für immer, sondern eher wie der Abschied von einem alten Freund, bei dem man weiß, dass man ihn irgendwann wiedersieht. Ich fuhr also auf der Rückbank zusammengepfercht per Anhalter mit ein paar italienischen Studenten in einem viel zu kleinen Auto nach Bologna. Von dort aus war es nicht mehr weit nach Florenz. Wegen der Hitze hatten wir jedes Fenster offen. Unsere Klimaanlage, die jeden Passagier rettete. Sommer in Italien.
*****
Da unten war es ruhig, meine Gedanken klar. Die Welt funktionierte auch ohne mich. Meine Augen waren geschlossen. Ich hörte etwas. Eine Stimme. "Lukas", hörte ich jemanden sagen, aber es klang dort alles gedämpfter. "Lukas, ich weiß du hörst mich." Der Stress holte einen echt überall ein. Ich tauchte wieder an die Oberfläche und sah Pauli am Beckenrand stehen. "Versteckst du dich vor mir?", fragte sie mich. "Paulina, ich hab jetzt Training, können wir das-" Ich wurde von meinem Trainer unterbrochen. "Hey, Paulina, lass Lukas in Ruhe, der muss für morgen noch etwas trainieren!"
*****
Bologna ließ mich relativ kalt. Als ich ankam wurde ich direkt zwei Mal angerempelt. Eine Stadt der Unachtsamkeit. Ich fuhr also mit dem nächsten Zug direkt weiter nach Florenz. Auf der Fahrt merkte ich, dass ich meine Kamera irgendwo vergessen hatte. Ich tippte auf Salzburg. Da war ich beim Auschecken total spät dran und musste alles schnell zusammensuchen. "Dann bleibt die Reise wohl ohne fotografische Erinnerungen", dachte ich. Als wir schon etwa 30 von 45 Minuten fuhren, blieben wir plötzlich mitten im Nirgendwo bei einer extremen Hitze stehen. Vorne im Zug qualmte es sehr. Da ich die Durchsage nicht verstand, mir aber denken konnte, dass es erstmal nicht weitergehen würde, wollte ich die restlichen Minuten zu Fuß gehen. Ich stellte schnell fest, dass ein geplantes Abenteuer doch mehr Spaß macht als ein ungeplantes. Ich hatte die Hitze komplett unterschätzt. Die Sonne knallte auf meinen Kopf. Kein Trinken mehr, keine Mütze. Ich merkte schnell wie meine Kräfte schwanden. Vom Weiten sah ich einen Feldweg. "Da werden doch bestimmt Leute vorbeikommen, die mich mitnehmen können", redete ich mir ein. Doch mir wurde schwindelig und taumelte fast nur noch. Ich sah nichts mehr. Mir war schwarz vor Augen.
*****
Nach dem Training kam Christian nochmal zu mir. "Hör mal, Lukas", man merkte, er wollte mir was sagen, aber fand wie so oft nicht die richtigen Worte. "Ich weiß irgendwas ist zwischen dir und Pauli passiert und ja sie ist meine Tochter und ich bin dein Trainer, aber versuch das mal zu vergessen für einen Tag, ja?" Er stammelte so sehr vor sich hin. "Du kennst dein Ziel und wenn du zu Olympia willst, dann musst du morgen ein perfektes Rennen schwimmen. Da ist kein Platz für sowas mit Paulina, auch wenn es noch ganz frisch ist, also glaube ich, sie erzählt mir ja auch nicht alles." Ich stoppte ihn, das konnte man sich ja nicht anhören. "Ich bin fokussiert. Ich darf nicht scheitern."
*****
Ich öffnete meine Augen. Mein Kopf lag auf einem weichen Kissen, aber er brummte. Einzelne Sonnenstrahlen drangen durch das Fenster direkt auf mein Gesicht. "Wo bin ich hier?" Ich ging eine Holztreppe hinunter und stand in einem leeren Lokal. Von draußen kamen Geräusche. Doch bevor ich rausgehen konnte, passte mich eine kleine italienische Frau ab und sprach mich an. Ich verstand kein Wort. Sie schaute sich meinen Kopf an, nickte mir zu und tätschelte meine Schulter. Dann ging sie wieder in die Küche und rief mir noch was zu, was ich wieder nicht verstand. Auf der Veranda tummelten sich ein paar Männer. Etwa 7 oder 8. Einer älter als der andere. Sie beobachteten ein Schachspiel zwischen einem richtig runden Mann Mitte vierzig im Unterhemd und einem alten dürren Mann, der oben ohne in der Sonne saß und mit den Zähnen, die ihm noch geblieben sind, dauerhaft grinste. Sie aßen alle frisches Brot mit saftigen Tomaten und Olivenöl. Mein Magen knurrte so laut, dass mich alle Männer anstarrten. Der dicke Mann in Unterhemd reichte mir den Teller und ich nahm peinlich berührt ein Stück Brot und tunkte es in Olivenöl. Hinter mir kam die Frau wieder und bat mir eine frische Pizza an. Beim Essen kamen Violetta und ich ins Gespräch. Sie übersetzte alles mit ihrem Handy. Sie und ihr Mann, der Mann im Unterhemd, leiteten in diesem Dorf ein Lokal und ich durfte etwas in der Küche helfen und Pizza und Pasta zubereiten und im Gegenzug durfte ich hier schlafen. Jetzt zahlte sich alles aus, was ich bei Frederico gelernt hatte.
*****
"Ich hab gehört, der Gottlob Junge studiert jetzt in Boston", sagte mein Vater. "Die können es sich auch leisten." Ich reagierte nicht darauf, denn ich wusste wohin das führen würde und aß in Ruhe weiter. Dann schaute mich mein Vater an und fragte mich, was ich denn jetzt machen will, ich könnte ja nicht für immer bei Frederico im Restaurant jobben. Meine Mutter sah mir an wie unangenehm mir das war und sprang ein: "Er hat morgen einen wichtigen Wettkampf. Jetzt ist kein Platz für solch ein Thema." Danke Mama.
*****
Nach ein paar Tagen, ich arbeitete gerade in der Küche und bereitete alles für den Abend vor, stand ein Mädchen vor mir. Ich hatte mich total erschrocken. Es war die Tochter, von der Violetta mir erzählt hatte. Felicia war super nett und sie half mir bei den Vorbereitungen. Sie konnte zum Glück Englisch. "Endlich jemanden zum Reden", dachte ich mir. Sie erzählte mir, dass sie in der Schweiz auf ein Internat geht. "Klingt teuer", dachte ich. "Mit den Einnahmen von dem Laden hier kann man sowas nicht finanzieren." In den nächsten Tagen zeigte sie mir ihre Lieblingsorte in der Gegend und danach standen wir immer zusammen in der Küche. Ihre dunkelbraunen Haare, ihr strahlendes Lächeln und ihre großen, ehrlichen Augen gefielen mir immer mehr.
*****
Die Nacht vor einem Wettkampf war nie mit viel Schlaf gespickt. Es kamen mir immer sehr viele Gedanken in den Kopf. Zur Zeit waren es eh viel zu viele. Ich spürte seit längerem großen Druck auf meiner Brust. Ich wusste, dass mein Verein auf mich zählte und vor allem auf die Preisgelder. Mein Abschluss war jetzt schon ein paar Monate her und ich hatte keine Ahnung was ich tun soll und dann noch das mit Pauli. Mein Handy vibrierte. Es war mitten in der Nacht. "Hey ich wünsche dir trotz allem für heute viel Glück. Ich werde dich auf jeden Fall anfeuern und ich hoffe, dass wir danach nochmal reden können. Paulina."
*****
2 Wochen nachdem wir uns kennengelernt hatten, fuhren wir gemeinsam mit dem Auto von ihrem padre zu einem Haus ihres Onkels. "It's so secluded. Only nature all around. A Pool, a bar and you and me." Mit diesen Worten überzeugte Felicia mich, es klang nach Abenteuer und etwas Pause von der Küchenarbeit fand ich auch nicht schlecht. Das Haus, das mir versprochen wurde, war eine alte Villa mitten im Nirgendwo. Nur eine Hügellandschaft mit schönen Schirmpinien und Zypressen. Wir schliefen beide im Gästezimmer. Auf die Frage, weshalb wir nicht im Masterbedroom schliefen, sagte sie nur: "Rispetto." Ich fragte mich, was der Onkel wohl beruflich macht und wo er ist, wenn er nicht hier wohnt.
*****
Der Signalton ertönte. Alle gingen auf ihren Startblock. Noch einmal alles lockern, den Kopf nach links und nach rechts drehen und die Taucherbrille nochmal kontrollieren. Gleich kommt die entscheidende Phase. "Set." Alle waren auf Position und bereit zum Sprung. Obwohl es nicht mal zwei Sekunden waren zwischen Set und dem endgültigen Startsignal, fühlte es sich endlos an. Ich zitterte. Es reichte nur ein Impuls, der zu früh durch den Körper ging und das ganze Rennen wäre gelaufen. Der perfekte Start. Den braucht man, um bei Olympia teilnehmen zu können. Diese eine verflixte Sekunde.
*****
Die Tage vergingen wie im Flug. Jeden Morgen, nachdem ich aufwachte, stand Felicia schon in ihrem Badeanzug auf dem Balkon mit einer Zigarette in der Hand gegen das Geländer gelehnt und schaute in die Ferne. So als ob sie nur darauf gewartet hätte, gemalt zu werden. Unsere Tage verbrachte ich meist im Pool. Sie saß am Beckenrand und las rauchend ein Buch nach dem anderen. Ich schwamm dann irgendwann zu ihr hin und rauchte mit. Am Abend lagen wir auf den Liegen auf der Terrasse, tranken Wein aus dem Weinkeller, wir hatten keine Ahnung, ob es ein Wein für 10 Euro oder 10.000 Euro war und beobachteten das Farbenspiel des Himmels. Rosa, Orange, Rot und Blau. Wir schauten in die Sterne, suchten ein paar Bilder und hörten Musik: "Wie viel wiegt 'ne Minute, wenn sie dich für immer schweben lässt?" Die Nächte verbrachten wir mal im Bett, mal auf der Terrasse oder auf einer Luftmatratze im Pool, meist nackt und mit allen Fenstern und Türen offen, wegen der Hitze. Ich wollte nie irgendwo anders sein. Nicht wie sonst immer. War man in der Schule, wollte man nach Hause, war man Zuhause, wollte man raus zu den Freunden. Es gab immer irgendwas im Hinterkopf, aber hier hatte ich nichts zu tun. Der Kopf war frei. Ich war einfach im Moment. Eventuell das erste Mal in meinem Leben.
*****
Das Startsignal. Alle sprangen elegant ins Becken. Bis auf mich. Ich verharrte in meiner Startposition. Mit dem Kopf gesenkt, voller Anspannung. Ich drehte meinen Kopf zur Tribüne. Ich sah Pauli, wie sie besorgt zu mir herunterschaute. Dieser blonde Engel. Aus dem Augenwinkel sah ich meinen Trainer, wie er mich anschrie und seine Cap auf den Boden schmiss. Daneben meine Eltern. Das Entsetzen war ihnen ins Gesicht geschrieben. Ein Gedanke jagte den anderen. "Soll ich noch springen? Gewinnen werde ich eh nicht mehr. Soll ich noch einen Salto ins Wasser machen zur Unterhaltung? Soll ich auf eine andere Bahn springen, damit ich disqualifiziert werde?" Ich löste mich aus der Startposition, zog meine Schwimmhaube und die Brille ab und ging in Richtung der Umkleide.
*****
"Haben wir alles?" Sie nickte. Felicia verstand mich und ich verstand sie. Unsere Kommunikation kannte keine Sprache. Als wir wieder im Dorf ankamen, kam ihre Mutter schon mit Tränen in den Augen angelaufen. Ihr Vater freute sich auch sehr uns wiederzusehen. Hier bedeutete Familie etwas anderes als bei uns. Ich fragte mich wie meine Eltern reagieren werden, wenn ich Heim komme. Ich half wieder in der Küche mit und Felicia unternahm viel mit ihren Freunden. Die sah sie ja auch nur in den Ferien. An einem Nachmittag spielten ein paar Jungs, etwa 6 bis 10 Jahre alt, auf einer Wiese Fußball. Die Tore waren rostige Eisenstangen und zusammengebundene Kartoffelsäcke. Ich ging zu ihnen hin und spielte mit. Ich zeigte auf den Knirps im Tor und sagte: "Gianluigi Buffon!" Er schüttelte vehement den Kopf und rief: "Donnarumma! Donnarumma!" Nach ein paar Toren brauchte ich eine Pause. Das Rauchen tat meiner Kondition nicht gut. Ich machte das Handzeichen für Pause und ein kleiner, etwas runder Junge sagte nur kopfschüttelnd: "Vecchio." Ich setzte mich auf einen kleinen Hügel und beobachtete die Jungs beim Spielen. Sie hatten noch alles vor sich. Sie werden noch Talente entdecken, von denen sie jetzt noch gar nichts wissen. Die ganzen ersten Male, die ihnen noch bevorstehen, die Freunde, die sie noch kennenlernen und wieder aus den Augen verlieren werden. Was werden Sie wohl mit ihrem Leben anfangen? Was werde ich mit meinem Leben anfangen?
*****
Es klopfte an der Tür. "Lukas? Machst du auf?" Es war Paulina. "Alles gut? Mein Dad ist nicht böse auf dich, falls du das denkst." Mit dem Geld vom Sieg hätte sich der Verein neue Duschen leisten können. Ich weiß, dass sie mit dem Geld schon geplant hatten. "Auch, wenn es gerade komisch zwischen uns ist, kannst du mit mir reden." Ich antwortete nicht und hörte nur die morschen Stufen knarren.
*****
Nach ein paar Minuten der lauten Gedanken, setzte sich Felicia zu mir und lehnte sich an meine Schulter. Ich sagte ihr, dass ich weiter muss. Meine Gedanken holten mich ein. Meine Vergangenheit holte mich ein. Zum Abschied gab sie mir noch ihre Nummer. Wir wussten beide, dass das nichts für immer war. Ich bedankte mich bei ihren Eltern für die Gastfreundschaft, die Arbeit und generell für die tolle Zeit. Ihr Vater gab mir noch 200 Euro. Es war nicht viel für jemanden, der auf Reisen war, lediglich ein paar Übernachtungen mehr, aber ich wusste wie viel Pizza und Pasta sie dafür verkaufen mussten. Auf die Frage wohin ich jetzt gehen würde, antwortete ich mit einem Grinsen im Gesicht: "Roma." Der Abschied fühlte sich endgültig an.
*****
Vor dem Wettkampf hatte ich mir ausgemalt, wie die Reaktionen sein werden, wenn ich gewinne. Im Becken werde ich noch von den Konkurrenten beglückwünscht. Christian springt vor Freude ins Wasser, die Menge tobt. Dann stehe ich da, in ein Handtuch gewickelt und meine Eltern kommen an mit strahlenden Augen voller Stolz, auch Pauli schiebt sich an ein paar Leuten vorbei und umarmt mich kurz, auch wenn es sich etwas komisch anfühlen würde. Dann noch ein Foto für das Käseblatt mit meinem Pokal und irgendein Scout vom DSV kommt zu mir, stellt sich vor, sagt, dass ich ein grandioses Rennen hingelegt habe und er sich auf jeden Fall bei mir melden wird. Puff. Aus der Traum.
*****
Die Busfahrt von Florenz nach Rom war der Horror. Defekte Klimaanlage und 33 Grad. Der Schweiß floss literweise aus uns Mitfahrenden. Als Entschädigung bekamen wir kostenlose Getränke. Ungekühlt. Ich nutzte die Fahrt um mir über meine Finanzen einen Überblick zu verschaffen. Ernüchternd ließ ich mich in meinen Sitz fallen. 350 Euro und 52 Cent Bar und 142,11 Euro auf dem Konto. Keine 500 Euro. "In Rom würde eine Nacht auch in dem billigsten Hostel 50 Euro kosten", dachte ich. "Plus Essen, Mobilität und Eintritt?" Ich schaute aus dem Fenster. Ich wollte noch nicht zurück. Ich sah mich schon mit dem Bus am Ortseingang vorbeifahren, links der Fußballplatz, rechts Willys Werkstatt. Dann noch am Riesenhaus der Gottlobs vorbei und an meiner Haltestelle aussteigen.
*****
4:30 Uhr. Es kochte in mir. Es brannte in mir. Ich konnte nicht still sitzen, nicht liegen. Ich dachte erst, ich hätte eine Panikattacke, aber ich fühlte mich eher so als könnte ich drei Marathons am Stück laufen. Ich war geladen, voller Energie. Ich hatte nichts mehr zu verlieren. Keinen guten Ruf, keine Erwartungen, dich ich noch enttäuschen konnte, keine Beziehung. Mein Kopf fühlte sich leer an, wobei leer das falsche Wort wäre. Er fühlte sich frei an. Ich setzte mich also an meinen Schreibtisch.
*****
Meine Motivation war am Boden. Mit so wenig Geld macht das Reisen keinen Spaß und seit ich wieder alleine war, dachte ich an Zuhause. Ich hatte keinen mehr, der mich ablenkte. Ich saß vor dem Kolosseum auf einer Bank als sich hinter mir zwei Männer auf Deutsch unterhielten. ?Wir müssen mehr Werbung machen. Die Italiener sollen, wenn sie Deutschland hören, sofort an uns denken.? Es ging um ein Restaurant, das kurz vor der Eröffnung stand. Deutsche Küche mitten in Rom. Deutschland ist wirklich überall. Ich hätte mich umdrehen können, sie ansprechen können und sagen, dass ich ihnen helfen könnte. Ich hätte bestimmt etwas Geld bekommen oder hätte irgendwo schlafen können, aber ich wollte - "Hey Jungs, ich hab gerade gehört, worüber ihr geredet habt. Falls ihr jemanden braucht, der ein paar Flyer verteilt, dann könnte ich auf jeden Fall helfen." Manchmal macht der Körper etwas wofür der Kopf noch nicht bereit ist. Thorsten und Anton waren noch in den letzten Zügen und drückten mir ein paar Stapel Flyer in die Hand und im Gegenzug durfte ich bei Anton und seiner Freundin auf der Couch schlafen. Beim Essen fragten sie mich einmal, was ich denn in Zukunft gerne machen würde. Die Italiener hatten mich das nie gefragt. Aber auf der Straße zu sein, lenkte mich wieder etwas ab. Es war auch immer schön Deutsche zu treffen und ihre Reaktionen zu sehen. "Oh dat is ja schön. Deutsche Kost in Italien." Nach ein paar Tagen, die Eröffnung lief soweit ganz gut, ich konnte da auch noch etwas helfen, wurde ich dann wieder in die Realität zurückgeholt als mir der Mann im Supermarkt zu verstehen gab, dass meine Karte nicht genommen wurde.
*****
"Hallo Paulina, erstmal tut es mir leid, dass ich vorhin nicht aufgemacht hatte. Ich brauchte einfach meine Ruhe von allem. Mir ist so einiges klar geworden. Wir hatten eine wunderschöne Zeit zusammen und ja ich vermisse dich oft und ja ich schätze, ich liebe dich noch irgendwie, aber ich glaube, die Pause, die wir gerade haben, sollten wir noch etwas verlängern. Ich will das erste Mal darüber nachdenken was ich wirklich will im Leben, ohne dass du oder meine Eltern oder sonst jemand mir reinredet. Ich werde die nächste Zeit nicht erreichbar sein, aber mach dir keine Sorgen. Mir wird es gut gehen und ich komme schon irgendwann wieder. Pass auf dich auf. - Lukas."
*****
Geknickt ging ich zu Anton, der mich unbedingt auf eine Party mitschleppen wollte. Doch als ich da war, wurde mir klar, dass die Reise wohl vorbei ist und ich nur noch heute hier bin und das feiern sollte. Etwas betrunken ging ich vor die Tür, um eine zu rauchen. Ich fragte Anton warum er nach Rom ging. Er wusste es selbst nicht genau. "Ich war schon in London, Madrid, Melbourne und irgendwo. Es ist nie für immer und das ist auch gut so. Ich kann immer zurückgehen. In Deutschland ist mein Zuhause und ich suche auch kein neues, ich suche nur das Abenteuer für eine gewisse Zeit." Plötzlich vermisste ich mein Dorf und meine Schwimmhalle. Ich vermisste Mama und Papa. Ich vermisste Pauli und mein Zuhause.
*****
"Hallo Mama, hallo Papa, ihr braucht nicht nachzuschauen, ich bin nicht in meinem Zimmer. Ich brauche gerade etwas Abstand von allem. Ich weiß noch nicht wo meine Reise hingeht, ob ich Elefanten auf einer Safari beobachte, in Schweden im finstersten Wald in einer Hütte schlafe, ob ich den Jakobsweg gehe oder nur kurz über die Grenze fahre, um zu kiffen. Ich habe keine Ahnung. Und das ist zur Zeit in vielen Dingen so. Ich dachte immer, dass das schlimm sei. Alle haben Ahnung von allem und machen was. Aber ich glaube, es ist gar nicht so schlimm. Ich war bis jetzt immer im Safe Space. Fehler konnte ich keine machen. Dafür bin ich euch dankbar, aber es ist nicht das, was ich gerade brauche. Es ist gerade das Ungewisse, das mich reizt und dem gehe ich jetzt nach. Ich weiß, es lief nicht alles wie geplant, aber eventuell genauso wie es sollte. Und Mama, mach dir nicht zu viele Sorgen. - Lukas."
Ich legte den Brief auf den Küchentisch und mein Handy daneben. Auf dem Weg zum Bus schmiss ich noch den anderen Brief in Paulinas Briefkasten. Dann konnte das Abenteuer beginnen.
*****
Ich ging in eine Telefonzelle. "Hallo Mama? Ja, ich bin's. Mir geht's gut. Ich bin in Rom. In Rom, Italien. Ja. Ähm, hör mal Mama, ich kann nicht so lange reden. Kannst du mir etwas Geld auf mein Konto überweisen? Es reicht nicht mehr für ein Flugticket. Ja. Ja, ich komm nach Hause."
Bella Italia
von Pierre-Philippe Scharf
Ich strich auf meinem Zettel Verona durch und es standen nur noch Florenz, Rom und Sizilien auf ihm. Ich verließ die Stadt nur ungerne, aber ich musste weiter. Ich würde die verrückte Lebensweise und Aufgeschlossenheit von Valentina wohl nie mehr vergessen. Genauso wenig wie den schönen Abend auf dem Balkon. Verona war aber nunmal nur ein Zwischenstopp und genauso wie schon in Salzburg war es kein Abschied für immer, sondern eher wie der Abschied von einem alten Freund, bei dem man weiß, dass man ihn irgendwann wiedersieht. Ich fuhr also auf der Rückbank zusammengepfercht per Anhalter mit ein paar italienischen Studenten in einem viel zu kleinen Auto nach Bologna. Von dort aus war es nicht mehr weit nach Florenz. Wegen der Hitze hatten wir jedes Fenster offen. Unsere Klimaanlage, die jeden Passagier rettete. Sommer in Italien.
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Da unten war es ruhig, meine Gedanken klar. Die Welt funktionierte auch ohne mich. Meine Augen waren geschlossen. Ich hörte etwas. Eine Stimme. "Lukas", hörte ich jemanden sagen, aber es klang dort alles gedämpfter. "Lukas, ich weiß du hörst mich." Der Stress holte einen echt überall ein. Ich tauchte wieder an die Oberfläche und sah Pauli am Beckenrand stehen. "Versteckst du dich vor mir?", fragte sie mich. "Paulina, ich hab jetzt Training, können wir das-" Ich wurde von meinem Trainer unterbrochen. "Hey, Paulina, lass Lukas in Ruhe, der muss für morgen noch etwas trainieren!"
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Bologna ließ mich relativ kalt. Als ich ankam wurde ich direkt zwei Mal angerempelt. Eine Stadt der Unachtsamkeit. Ich fuhr also mit dem nächsten Zug direkt weiter nach Florenz. Auf der Fahrt merkte ich, dass ich meine Kamera irgendwo vergessen hatte. Ich tippte auf Salzburg. Da war ich beim Auschecken total spät dran und musste alles schnell zusammensuchen. "Dann bleibt die Reise wohl ohne fotografische Erinnerungen", dachte ich. Als wir schon etwa 30 von 45 Minuten fuhren, blieben wir plötzlich mitten im Nirgendwo bei einer extremen Hitze stehen. Vorne im Zug qualmte es sehr. Da ich die Durchsage nicht verstand, mir aber denken konnte, dass es erstmal nicht weitergehen würde, wollte ich die restlichen Minuten zu Fuß gehen. Ich stellte schnell fest, dass ein geplantes Abenteuer doch mehr Spaß macht als ein ungeplantes. Ich hatte die Hitze komplett unterschätzt. Die Sonne knallte auf meinen Kopf. Kein Trinken mehr, keine Mütze. Ich merkte schnell wie meine Kräfte schwanden. Vom Weiten sah ich einen Feldweg. "Da werden doch bestimmt Leute vorbeikommen, die mich mitnehmen können", redete ich mir ein. Doch mir wurde schwindelig und taumelte fast nur noch. Ich sah nichts mehr. Mir war schwarz vor Augen.
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Nach dem Training kam Christian nochmal zu mir. "Hör mal, Lukas", man merkte, er wollte mir was sagen, aber fand wie so oft nicht die richtigen Worte. "Ich weiß irgendwas ist zwischen dir und Pauli passiert und ja sie ist meine Tochter und ich bin dein Trainer, aber versuch das mal zu vergessen für einen Tag, ja?" Er stammelte so sehr vor sich hin. "Du kennst dein Ziel und wenn du zu Olympia willst, dann musst du morgen ein perfektes Rennen schwimmen. Da ist kein Platz für sowas mit Paulina, auch wenn es noch ganz frisch ist, also glaube ich, sie erzählt mir ja auch nicht alles." Ich stoppte ihn, das konnte man sich ja nicht anhören. "Ich bin fokussiert. Ich darf nicht scheitern."
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Ich öffnete meine Augen. Mein Kopf lag auf einem weichen Kissen, aber er brummte. Einzelne Sonnenstrahlen drangen durch das Fenster direkt auf mein Gesicht. "Wo bin ich hier?" Ich ging eine Holztreppe hinunter und stand in einem leeren Lokal. Von draußen kamen Geräusche. Doch bevor ich rausgehen konnte, passte mich eine kleine italienische Frau ab und sprach mich an. Ich verstand kein Wort. Sie schaute sich meinen Kopf an, nickte mir zu und tätschelte meine Schulter. Dann ging sie wieder in die Küche und rief mir noch was zu, was ich wieder nicht verstand. Auf der Veranda tummelten sich ein paar Männer. Etwa 7 oder 8. Einer älter als der andere. Sie beobachteten ein Schachspiel zwischen einem richtig runden Mann Mitte vierzig im Unterhemd und einem alten dürren Mann, der oben ohne in der Sonne saß und mit den Zähnen, die ihm noch geblieben sind, dauerhaft grinste. Sie aßen alle frisches Brot mit saftigen Tomaten und Olivenöl. Mein Magen knurrte so laut, dass mich alle Männer anstarrten. Der dicke Mann in Unterhemd reichte mir den Teller und ich nahm peinlich berührt ein Stück Brot und tunkte es in Olivenöl. Hinter mir kam die Frau wieder und bat mir eine frische Pizza an. Beim Essen kamen Violetta und ich ins Gespräch. Sie übersetzte alles mit ihrem Handy. Sie und ihr Mann, der Mann im Unterhemd, leiteten in diesem Dorf ein Lokal und ich durfte etwas in der Küche helfen und Pizza und Pasta zubereiten und im Gegenzug durfte ich hier schlafen. Jetzt zahlte sich alles aus, was ich bei Frederico gelernt hatte.
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"Ich hab gehört, der Gottlob Junge studiert jetzt in Boston", sagte mein Vater. "Die können es sich auch leisten." Ich reagierte nicht darauf, denn ich wusste wohin das führen würde und aß in Ruhe weiter. Dann schaute mich mein Vater an und fragte mich, was ich denn jetzt machen will, ich könnte ja nicht für immer bei Frederico im Restaurant jobben. Meine Mutter sah mir an wie unangenehm mir das war und sprang ein: "Er hat morgen einen wichtigen Wettkampf. Jetzt ist kein Platz für solch ein Thema." Danke Mama.
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Nach ein paar Tagen, ich arbeitete gerade in der Küche und bereitete alles für den Abend vor, stand ein Mädchen vor mir. Ich hatte mich total erschrocken. Es war die Tochter, von der Violetta mir erzählt hatte. Felicia war super nett und sie half mir bei den Vorbereitungen. Sie konnte zum Glück Englisch. "Endlich jemanden zum Reden", dachte ich mir. Sie erzählte mir, dass sie in der Schweiz auf ein Internat geht. "Klingt teuer", dachte ich. "Mit den Einnahmen von dem Laden hier kann man sowas nicht finanzieren." In den nächsten Tagen zeigte sie mir ihre Lieblingsorte in der Gegend und danach standen wir immer zusammen in der Küche. Ihre dunkelbraunen Haare, ihr strahlendes Lächeln und ihre großen, ehrlichen Augen gefielen mir immer mehr.
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Die Nacht vor einem Wettkampf war nie mit viel Schlaf gespickt. Es kamen mir immer sehr viele Gedanken in den Kopf. Zur Zeit waren es eh viel zu viele. Ich spürte seit längerem großen Druck auf meiner Brust. Ich wusste, dass mein Verein auf mich zählte und vor allem auf die Preisgelder. Mein Abschluss war jetzt schon ein paar Monate her und ich hatte keine Ahnung was ich tun soll und dann noch das mit Pauli. Mein Handy vibrierte. Es war mitten in der Nacht. "Hey ich wünsche dir trotz allem für heute viel Glück. Ich werde dich auf jeden Fall anfeuern und ich hoffe, dass wir danach nochmal reden können. Paulina."
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2 Wochen nachdem wir uns kennengelernt hatten, fuhren wir gemeinsam mit dem Auto von ihrem padre zu einem Haus ihres Onkels. "It's so secluded. Only nature all around. A Pool, a bar and you and me." Mit diesen Worten überzeugte Felicia mich, es klang nach Abenteuer und etwas Pause von der Küchenarbeit fand ich auch nicht schlecht. Das Haus, das mir versprochen wurde, war eine alte Villa mitten im Nirgendwo. Nur eine Hügellandschaft mit schönen Schirmpinien und Zypressen. Wir schliefen beide im Gästezimmer. Auf die Frage, weshalb wir nicht im Masterbedroom schliefen, sagte sie nur: "Rispetto." Ich fragte mich, was der Onkel wohl beruflich macht und wo er ist, wenn er nicht hier wohnt.
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Der Signalton ertönte. Alle gingen auf ihren Startblock. Noch einmal alles lockern, den Kopf nach links und nach rechts drehen und die Taucherbrille nochmal kontrollieren. Gleich kommt die entscheidende Phase. "Set." Alle waren auf Position und bereit zum Sprung. Obwohl es nicht mal zwei Sekunden waren zwischen Set und dem endgültigen Startsignal, fühlte es sich endlos an. Ich zitterte. Es reichte nur ein Impuls, der zu früh durch den Körper ging und das ganze Rennen wäre gelaufen. Der perfekte Start. Den braucht man, um bei Olympia teilnehmen zu können. Diese eine verflixte Sekunde.
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Die Tage vergingen wie im Flug. Jeden Morgen, nachdem ich aufwachte, stand Felicia schon in ihrem Badeanzug auf dem Balkon mit einer Zigarette in der Hand gegen das Geländer gelehnt und schaute in die Ferne. So als ob sie nur darauf gewartet hätte, gemalt zu werden. Unsere Tage verbrachte ich meist im Pool. Sie saß am Beckenrand und las rauchend ein Buch nach dem anderen. Ich schwamm dann irgendwann zu ihr hin und rauchte mit. Am Abend lagen wir auf den Liegen auf der Terrasse, tranken Wein aus dem Weinkeller, wir hatten keine Ahnung, ob es ein Wein für 10 Euro oder 10.000 Euro war und beobachteten das Farbenspiel des Himmels. Rosa, Orange, Rot und Blau. Wir schauten in die Sterne, suchten ein paar Bilder und hörten Musik: "Wie viel wiegt 'ne Minute, wenn sie dich für immer schweben lässt?" Die Nächte verbrachten wir mal im Bett, mal auf der Terrasse oder auf einer Luftmatratze im Pool, meist nackt und mit allen Fenstern und Türen offen, wegen der Hitze. Ich wollte nie irgendwo anders sein. Nicht wie sonst immer. War man in der Schule, wollte man nach Hause, war man Zuhause, wollte man raus zu den Freunden. Es gab immer irgendwas im Hinterkopf, aber hier hatte ich nichts zu tun. Der Kopf war frei. Ich war einfach im Moment. Eventuell das erste Mal in meinem Leben.
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Das Startsignal. Alle sprangen elegant ins Becken. Bis auf mich. Ich verharrte in meiner Startposition. Mit dem Kopf gesenkt, voller Anspannung. Ich drehte meinen Kopf zur Tribüne. Ich sah Pauli, wie sie besorgt zu mir herunterschaute. Dieser blonde Engel. Aus dem Augenwinkel sah ich meinen Trainer, wie er mich anschrie und seine Cap auf den Boden schmiss. Daneben meine Eltern. Das Entsetzen war ihnen ins Gesicht geschrieben. Ein Gedanke jagte den anderen. "Soll ich noch springen? Gewinnen werde ich eh nicht mehr. Soll ich noch einen Salto ins Wasser machen zur Unterhaltung? Soll ich auf eine andere Bahn springen, damit ich disqualifiziert werde?" Ich löste mich aus der Startposition, zog meine Schwimmhaube und die Brille ab und ging in Richtung der Umkleide.
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"Haben wir alles?" Sie nickte. Felicia verstand mich und ich verstand sie. Unsere Kommunikation kannte keine Sprache. Als wir wieder im Dorf ankamen, kam ihre Mutter schon mit Tränen in den Augen angelaufen. Ihr Vater freute sich auch sehr uns wiederzusehen. Hier bedeutete Familie etwas anderes als bei uns. Ich fragte mich wie meine Eltern reagieren werden, wenn ich Heim komme. Ich half wieder in der Küche mit und Felicia unternahm viel mit ihren Freunden. Die sah sie ja auch nur in den Ferien. An einem Nachmittag spielten ein paar Jungs, etwa 6 bis 10 Jahre alt, auf einer Wiese Fußball. Die Tore waren rostige Eisenstangen und zusammengebundene Kartoffelsäcke. Ich ging zu ihnen hin und spielte mit. Ich zeigte auf den Knirps im Tor und sagte: "Gianluigi Buffon!" Er schüttelte vehement den Kopf und rief: "Donnarumma! Donnarumma!" Nach ein paar Toren brauchte ich eine Pause. Das Rauchen tat meiner Kondition nicht gut. Ich machte das Handzeichen für Pause und ein kleiner, etwas runder Junge sagte nur kopfschüttelnd: "Vecchio." Ich setzte mich auf einen kleinen Hügel und beobachtete die Jungs beim Spielen. Sie hatten noch alles vor sich. Sie werden noch Talente entdecken, von denen sie jetzt noch gar nichts wissen. Die ganzen ersten Male, die ihnen noch bevorstehen, die Freunde, die sie noch kennenlernen und wieder aus den Augen verlieren werden. Was werden Sie wohl mit ihrem Leben anfangen? Was werde ich mit meinem Leben anfangen?
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Es klopfte an der Tür. "Lukas? Machst du auf?" Es war Paulina. "Alles gut? Mein Dad ist nicht böse auf dich, falls du das denkst." Mit dem Geld vom Sieg hätte sich der Verein neue Duschen leisten können. Ich weiß, dass sie mit dem Geld schon geplant hatten. "Auch, wenn es gerade komisch zwischen uns ist, kannst du mit mir reden." Ich antwortete nicht und hörte nur die morschen Stufen knarren.
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Nach ein paar Minuten der lauten Gedanken, setzte sich Felicia zu mir und lehnte sich an meine Schulter. Ich sagte ihr, dass ich weiter muss. Meine Gedanken holten mich ein. Meine Vergangenheit holte mich ein. Zum Abschied gab sie mir noch ihre Nummer. Wir wussten beide, dass das nichts für immer war. Ich bedankte mich bei ihren Eltern für die Gastfreundschaft, die Arbeit und generell für die tolle Zeit. Ihr Vater gab mir noch 200 Euro. Es war nicht viel für jemanden, der auf Reisen war, lediglich ein paar Übernachtungen mehr, aber ich wusste wie viel Pizza und Pasta sie dafür verkaufen mussten. Auf die Frage wohin ich jetzt gehen würde, antwortete ich mit einem Grinsen im Gesicht: "Roma." Der Abschied fühlte sich endgültig an.
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Vor dem Wettkampf hatte ich mir ausgemalt, wie die Reaktionen sein werden, wenn ich gewinne. Im Becken werde ich noch von den Konkurrenten beglückwünscht. Christian springt vor Freude ins Wasser, die Menge tobt. Dann stehe ich da, in ein Handtuch gewickelt und meine Eltern kommen an mit strahlenden Augen voller Stolz, auch Pauli schiebt sich an ein paar Leuten vorbei und umarmt mich kurz, auch wenn es sich etwas komisch anfühlen würde. Dann noch ein Foto für das Käseblatt mit meinem Pokal und irgendein Scout vom DSV kommt zu mir, stellt sich vor, sagt, dass ich ein grandioses Rennen hingelegt habe und er sich auf jeden Fall bei mir melden wird. Puff. Aus der Traum.
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Die Busfahrt von Florenz nach Rom war der Horror. Defekte Klimaanlage und 33 Grad. Der Schweiß floss literweise aus uns Mitfahrenden. Als Entschädigung bekamen wir kostenlose Getränke. Ungekühlt. Ich nutzte die Fahrt um mir über meine Finanzen einen Überblick zu verschaffen. Ernüchternd ließ ich mich in meinen Sitz fallen. 350 Euro und 52 Cent Bar und 142,11 Euro auf dem Konto. Keine 500 Euro. "In Rom würde eine Nacht auch in dem billigsten Hostel 50 Euro kosten", dachte ich. "Plus Essen, Mobilität und Eintritt?" Ich schaute aus dem Fenster. Ich wollte noch nicht zurück. Ich sah mich schon mit dem Bus am Ortseingang vorbeifahren, links der Fußballplatz, rechts Willys Werkstatt. Dann noch am Riesenhaus der Gottlobs vorbei und an meiner Haltestelle aussteigen.
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4:30 Uhr. Es kochte in mir. Es brannte in mir. Ich konnte nicht still sitzen, nicht liegen. Ich dachte erst, ich hätte eine Panikattacke, aber ich fühlte mich eher so als könnte ich drei Marathons am Stück laufen. Ich war geladen, voller Energie. Ich hatte nichts mehr zu verlieren. Keinen guten Ruf, keine Erwartungen, dich ich noch enttäuschen konnte, keine Beziehung. Mein Kopf fühlte sich leer an, wobei leer das falsche Wort wäre. Er fühlte sich frei an. Ich setzte mich also an meinen Schreibtisch.
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Meine Motivation war am Boden. Mit so wenig Geld macht das Reisen keinen Spaß und seit ich wieder alleine war, dachte ich an Zuhause. Ich hatte keinen mehr, der mich ablenkte. Ich saß vor dem Kolosseum auf einer Bank als sich hinter mir zwei Männer auf Deutsch unterhielten. ?Wir müssen mehr Werbung machen. Die Italiener sollen, wenn sie Deutschland hören, sofort an uns denken.? Es ging um ein Restaurant, das kurz vor der Eröffnung stand. Deutsche Küche mitten in Rom. Deutschland ist wirklich überall. Ich hätte mich umdrehen können, sie ansprechen können und sagen, dass ich ihnen helfen könnte. Ich hätte bestimmt etwas Geld bekommen oder hätte irgendwo schlafen können, aber ich wollte - "Hey Jungs, ich hab gerade gehört, worüber ihr geredet habt. Falls ihr jemanden braucht, der ein paar Flyer verteilt, dann könnte ich auf jeden Fall helfen." Manchmal macht der Körper etwas wofür der Kopf noch nicht bereit ist. Thorsten und Anton waren noch in den letzten Zügen und drückten mir ein paar Stapel Flyer in die Hand und im Gegenzug durfte ich bei Anton und seiner Freundin auf der Couch schlafen. Beim Essen fragten sie mich einmal, was ich denn in Zukunft gerne machen würde. Die Italiener hatten mich das nie gefragt. Aber auf der Straße zu sein, lenkte mich wieder etwas ab. Es war auch immer schön Deutsche zu treffen und ihre Reaktionen zu sehen. "Oh dat is ja schön. Deutsche Kost in Italien." Nach ein paar Tagen, die Eröffnung lief soweit ganz gut, ich konnte da auch noch etwas helfen, wurde ich dann wieder in die Realität zurückgeholt als mir der Mann im Supermarkt zu verstehen gab, dass meine Karte nicht genommen wurde.
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"Hallo Paulina, erstmal tut es mir leid, dass ich vorhin nicht aufgemacht hatte. Ich brauchte einfach meine Ruhe von allem. Mir ist so einiges klar geworden. Wir hatten eine wunderschöne Zeit zusammen und ja ich vermisse dich oft und ja ich schätze, ich liebe dich noch irgendwie, aber ich glaube, die Pause, die wir gerade haben, sollten wir noch etwas verlängern. Ich will das erste Mal darüber nachdenken was ich wirklich will im Leben, ohne dass du oder meine Eltern oder sonst jemand mir reinredet. Ich werde die nächste Zeit nicht erreichbar sein, aber mach dir keine Sorgen. Mir wird es gut gehen und ich komme schon irgendwann wieder. Pass auf dich auf. - Lukas."
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Geknickt ging ich zu Anton, der mich unbedingt auf eine Party mitschleppen wollte. Doch als ich da war, wurde mir klar, dass die Reise wohl vorbei ist und ich nur noch heute hier bin und das feiern sollte. Etwas betrunken ging ich vor die Tür, um eine zu rauchen. Ich fragte Anton warum er nach Rom ging. Er wusste es selbst nicht genau. "Ich war schon in London, Madrid, Melbourne und irgendwo. Es ist nie für immer und das ist auch gut so. Ich kann immer zurückgehen. In Deutschland ist mein Zuhause und ich suche auch kein neues, ich suche nur das Abenteuer für eine gewisse Zeit." Plötzlich vermisste ich mein Dorf und meine Schwimmhalle. Ich vermisste Mama und Papa. Ich vermisste Pauli und mein Zuhause.
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"Hallo Mama, hallo Papa, ihr braucht nicht nachzuschauen, ich bin nicht in meinem Zimmer. Ich brauche gerade etwas Abstand von allem. Ich weiß noch nicht wo meine Reise hingeht, ob ich Elefanten auf einer Safari beobachte, in Schweden im finstersten Wald in einer Hütte schlafe, ob ich den Jakobsweg gehe oder nur kurz über die Grenze fahre, um zu kiffen. Ich habe keine Ahnung. Und das ist zur Zeit in vielen Dingen so. Ich dachte immer, dass das schlimm sei. Alle haben Ahnung von allem und machen was. Aber ich glaube, es ist gar nicht so schlimm. Ich war bis jetzt immer im Safe Space. Fehler konnte ich keine machen. Dafür bin ich euch dankbar, aber es ist nicht das, was ich gerade brauche. Es ist gerade das Ungewisse, das mich reizt und dem gehe ich jetzt nach. Ich weiß, es lief nicht alles wie geplant, aber eventuell genauso wie es sollte. Und Mama, mach dir nicht zu viele Sorgen. - Lukas."
Ich legte den Brief auf den Küchentisch und mein Handy daneben. Auf dem Weg zum Bus schmiss ich noch den anderen Brief in Paulinas Briefkasten. Dann konnte das Abenteuer beginnen.
*****
Ich ging in eine Telefonzelle. "Hallo Mama? Ja, ich bin's. Mir geht's gut. Ich bin in Rom. In Rom, Italien. Ja. Ähm, hör mal Mama, ich kann nicht so lange reden. Kannst du mir etwas Geld auf mein Konto überweisen? Es reicht nicht mehr für ein Flugticket. Ja. Ja, ich komm nach Hause."
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