Dienstag, 22. Februar 2022
Bella Italia
Auch zu hören im Podcast "Teil der Story"



Bella Italia

von Pierre-Philippe Scharf


Ich strich auf meinem Zettel Verona durch und es standen nur noch Florenz, Rom und Sizilien auf ihm. Ich verließ die Stadt nur ungerne, aber ich musste weiter. Ich würde die verrückte Lebensweise und Aufgeschlossenheit von Valentina wohl nie mehr vergessen. Genauso wenig wie den schönen Abend auf dem Balkon. Verona war aber nunmal nur ein Zwischenstopp und genauso wie schon in Salzburg war es kein Abschied für immer, sondern eher wie der Abschied von einem alten Freund, bei dem man weiß, dass man ihn irgendwann wiedersieht. Ich fuhr also auf der Rückbank zusammengepfercht per Anhalter mit ein paar italienischen Studenten in einem viel zu kleinen Auto nach Bologna. Von dort aus war es nicht mehr weit nach Florenz. Wegen der Hitze hatten wir jedes Fenster offen. Unsere Klimaanlage, die jeden Passagier rettete. Sommer in Italien.

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Da unten war es ruhig, meine Gedanken klar. Die Welt funktionierte auch ohne mich. Meine Augen waren geschlossen. Ich hörte etwas. Eine Stimme. "Lukas", hörte ich jemanden sagen, aber es klang dort alles gedämpfter. "Lukas, ich weiß du hörst mich." Der Stress holte einen echt überall ein. Ich tauchte wieder an die Oberfläche und sah Pauli am Beckenrand stehen. "Versteckst du dich vor mir?", fragte sie mich. "Paulina, ich hab jetzt Training, können wir das-" Ich wurde von meinem Trainer unterbrochen. "Hey, Paulina, lass Lukas in Ruhe, der muss für morgen noch etwas trainieren!"

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Bologna ließ mich relativ kalt. Als ich ankam wurde ich direkt zwei Mal angerempelt. Eine Stadt der Unachtsamkeit. Ich fuhr also mit dem nächsten Zug direkt weiter nach Florenz. Auf der Fahrt merkte ich, dass ich meine Kamera irgendwo vergessen hatte. Ich tippte auf Salzburg. Da war ich beim Auschecken total spät dran und musste alles schnell zusammensuchen. "Dann bleibt die Reise wohl ohne fotografische Erinnerungen", dachte ich. Als wir schon etwa 30 von 45 Minuten fuhren, blieben wir plötzlich mitten im Nirgendwo bei einer extremen Hitze stehen. Vorne im Zug qualmte es sehr. Da ich die Durchsage nicht verstand, mir aber denken konnte, dass es erstmal nicht weitergehen würde, wollte ich die restlichen Minuten zu Fuß gehen. Ich stellte schnell fest, dass ein geplantes Abenteuer doch mehr Spaß macht als ein ungeplantes. Ich hatte die Hitze komplett unterschätzt. Die Sonne knallte auf meinen Kopf. Kein Trinken mehr, keine Mütze. Ich merkte schnell wie meine Kräfte schwanden. Vom Weiten sah ich einen Feldweg. "Da werden doch bestimmt Leute vorbeikommen, die mich mitnehmen können", redete ich mir ein. Doch mir wurde schwindelig und taumelte fast nur noch. Ich sah nichts mehr. Mir war schwarz vor Augen.

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Nach dem Training kam Christian nochmal zu mir. "Hör mal, Lukas", man merkte, er wollte mir was sagen, aber fand wie so oft nicht die richtigen Worte. "Ich weiß irgendwas ist zwischen dir und Pauli passiert und ja sie ist meine Tochter und ich bin dein Trainer, aber versuch das mal zu vergessen für einen Tag, ja?" Er stammelte so sehr vor sich hin. "Du kennst dein Ziel und wenn du zu Olympia willst, dann musst du morgen ein perfektes Rennen schwimmen. Da ist kein Platz für sowas mit Paulina, auch wenn es noch ganz frisch ist, also glaube ich, sie erzählt mir ja auch nicht alles." Ich stoppte ihn, das konnte man sich ja nicht anhören. "Ich bin fokussiert. Ich darf nicht scheitern."

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Ich öffnete meine Augen. Mein Kopf lag auf einem weichen Kissen, aber er brummte. Einzelne Sonnenstrahlen drangen durch das Fenster direkt auf mein Gesicht. "Wo bin ich hier?" Ich ging eine Holztreppe hinunter und stand in einem leeren Lokal. Von draußen kamen Geräusche. Doch bevor ich rausgehen konnte, passte mich eine kleine italienische Frau ab und sprach mich an. Ich verstand kein Wort. Sie schaute sich meinen Kopf an, nickte mir zu und tätschelte meine Schulter. Dann ging sie wieder in die Küche und rief mir noch was zu, was ich wieder nicht verstand. Auf der Veranda tummelten sich ein paar Männer. Etwa 7 oder 8. Einer älter als der andere. Sie beobachteten ein Schachspiel zwischen einem richtig runden Mann Mitte vierzig im Unterhemd und einem alten dürren Mann, der oben ohne in der Sonne saß und mit den Zähnen, die ihm noch geblieben sind, dauerhaft grinste. Sie aßen alle frisches Brot mit saftigen Tomaten und Olivenöl. Mein Magen knurrte so laut, dass mich alle Männer anstarrten. Der dicke Mann in Unterhemd reichte mir den Teller und ich nahm peinlich berührt ein Stück Brot und tunkte es in Olivenöl. Hinter mir kam die Frau wieder und bat mir eine frische Pizza an. Beim Essen kamen Violetta und ich ins Gespräch. Sie übersetzte alles mit ihrem Handy. Sie und ihr Mann, der Mann im Unterhemd, leiteten in diesem Dorf ein Lokal und ich durfte etwas in der Küche helfen und Pizza und Pasta zubereiten und im Gegenzug durfte ich hier schlafen. Jetzt zahlte sich alles aus, was ich bei Frederico gelernt hatte.

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"Ich hab gehört, der Gottlob Junge studiert jetzt in Boston", sagte mein Vater. "Die können es sich auch leisten." Ich reagierte nicht darauf, denn ich wusste wohin das führen würde und aß in Ruhe weiter. Dann schaute mich mein Vater an und fragte mich, was ich denn jetzt machen will, ich könnte ja nicht für immer bei Frederico im Restaurant jobben. Meine Mutter sah mir an wie unangenehm mir das war und sprang ein: "Er hat morgen einen wichtigen Wettkampf. Jetzt ist kein Platz für solch ein Thema." Danke Mama.

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Nach ein paar Tagen, ich arbeitete gerade in der Küche und bereitete alles für den Abend vor, stand ein Mädchen vor mir. Ich hatte mich total erschrocken. Es war die Tochter, von der Violetta mir erzählt hatte. Felicia war super nett und sie half mir bei den Vorbereitungen. Sie konnte zum Glück Englisch. "Endlich jemanden zum Reden", dachte ich mir. Sie erzählte mir, dass sie in der Schweiz auf ein Internat geht. "Klingt teuer", dachte ich. "Mit den Einnahmen von dem Laden hier kann man sowas nicht finanzieren." In den nächsten Tagen zeigte sie mir ihre Lieblingsorte in der Gegend und danach standen wir immer zusammen in der Küche. Ihre dunkelbraunen Haare, ihr strahlendes Lächeln und ihre großen, ehrlichen Augen gefielen mir immer mehr.

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Die Nacht vor einem Wettkampf war nie mit viel Schlaf gespickt. Es kamen mir immer sehr viele Gedanken in den Kopf. Zur Zeit waren es eh viel zu viele. Ich spürte seit längerem großen Druck auf meiner Brust. Ich wusste, dass mein Verein auf mich zählte und vor allem auf die Preisgelder. Mein Abschluss war jetzt schon ein paar Monate her und ich hatte keine Ahnung was ich tun soll und dann noch das mit Pauli. Mein Handy vibrierte. Es war mitten in der Nacht. "Hey ich wünsche dir trotz allem für heute viel Glück. Ich werde dich auf jeden Fall anfeuern und ich hoffe, dass wir danach nochmal reden können. Paulina."

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2 Wochen nachdem wir uns kennengelernt hatten, fuhren wir gemeinsam mit dem Auto von ihrem padre zu einem Haus ihres Onkels. "It's so secluded. Only nature all around. A Pool, a bar and you and me." Mit diesen Worten überzeugte Felicia mich, es klang nach Abenteuer und etwas Pause von der Küchenarbeit fand ich auch nicht schlecht. Das Haus, das mir versprochen wurde, war eine alte Villa mitten im Nirgendwo. Nur eine Hügellandschaft mit schönen Schirmpinien und Zypressen. Wir schliefen beide im Gästezimmer. Auf die Frage, weshalb wir nicht im Masterbedroom schliefen, sagte sie nur: "Rispetto." Ich fragte mich, was der Onkel wohl beruflich macht und wo er ist, wenn er nicht hier wohnt.

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Der Signalton ertönte. Alle gingen auf ihren Startblock. Noch einmal alles lockern, den  Kopf nach links und nach rechts drehen und die Taucherbrille nochmal kontrollieren. Gleich kommt die entscheidende Phase. "Set." Alle waren auf Position und bereit zum Sprung. Obwohl es nicht mal zwei Sekunden waren zwischen Set und dem endgültigen Startsignal, fühlte es sich endlos an. Ich zitterte. Es reichte nur ein Impuls, der zu früh durch den Körper ging und das ganze Rennen wäre gelaufen. Der perfekte Start. Den braucht man, um bei Olympia teilnehmen zu können. Diese eine verflixte Sekunde.

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Die Tage vergingen wie im Flug. Jeden Morgen, nachdem ich aufwachte, stand Felicia schon in ihrem Badeanzug auf dem Balkon mit einer Zigarette in der Hand gegen das Geländer gelehnt und schaute in die Ferne. So als ob sie nur darauf gewartet hätte, gemalt zu werden. Unsere Tage verbrachte ich meist im Pool. Sie saß am Beckenrand und las rauchend ein Buch nach dem anderen. Ich schwamm dann irgendwann zu ihr hin und rauchte mit. Am Abend lagen wir auf den Liegen auf der Terrasse, tranken Wein aus dem Weinkeller, wir hatten keine Ahnung, ob es ein Wein für 10 Euro oder 10.000 Euro war und beobachteten das Farbenspiel des Himmels. Rosa, Orange, Rot und Blau. Wir schauten in die Sterne, suchten ein paar Bilder und hörten Musik: "Wie viel wiegt 'ne Minute, wenn sie dich für immer schweben lässt?" Die Nächte verbrachten wir mal im Bett, mal auf der Terrasse oder auf einer Luftmatratze im Pool, meist nackt und mit allen Fenstern und Türen offen, wegen der Hitze. Ich wollte nie irgendwo anders sein. Nicht wie sonst immer. War man in der Schule, wollte man nach Hause, war man Zuhause, wollte man raus zu den Freunden. Es gab immer irgendwas im Hinterkopf, aber hier hatte ich nichts zu tun. Der Kopf war frei. Ich war einfach im Moment. Eventuell das erste Mal in meinem Leben.

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Das Startsignal. Alle sprangen elegant ins Becken. Bis auf mich. Ich verharrte in meiner Startposition. Mit dem Kopf gesenkt, voller Anspannung. Ich drehte meinen Kopf zur Tribüne. Ich sah Pauli, wie sie besorgt zu mir herunterschaute. Dieser blonde Engel. Aus dem Augenwinkel sah ich meinen Trainer, wie er mich anschrie und seine Cap auf den Boden schmiss. Daneben meine Eltern. Das Entsetzen war ihnen ins Gesicht geschrieben. Ein Gedanke jagte den anderen. "Soll ich noch springen? Gewinnen werde ich eh nicht mehr. Soll ich noch einen Salto ins Wasser machen zur Unterhaltung? Soll ich auf eine andere Bahn springen, damit ich disqualifiziert werde?" Ich löste mich aus der Startposition, zog meine Schwimmhaube und die Brille ab und ging in Richtung der Umkleide.

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"Haben wir alles?" Sie nickte. Felicia verstand mich und ich verstand sie. Unsere Kommunikation kannte keine Sprache. Als wir wieder im Dorf ankamen, kam ihre Mutter schon mit Tränen in den Augen angelaufen. Ihr Vater freute sich auch sehr uns wiederzusehen. Hier bedeutete Familie etwas anderes als bei uns. Ich fragte mich wie meine Eltern reagieren werden, wenn ich Heim komme. Ich half wieder in der Küche mit und Felicia unternahm viel mit ihren Freunden. Die sah sie ja auch nur in den Ferien. An einem Nachmittag spielten ein paar Jungs, etwa 6 bis 10 Jahre alt, auf einer Wiese Fußball. Die Tore waren rostige Eisenstangen und zusammengebundene Kartoffelsäcke. Ich ging zu ihnen hin und spielte mit. Ich zeigte auf den Knirps im Tor und sagte: "Gianluigi Buffon!" Er schüttelte vehement den Kopf und rief: "Donnarumma! Donnarumma!" Nach ein paar Toren brauchte ich eine Pause. Das Rauchen tat meiner Kondition nicht gut. Ich machte das Handzeichen für Pause und ein kleiner, etwas runder Junge sagte nur kopfschüttelnd: "Vecchio." Ich setzte mich auf einen kleinen Hügel und beobachtete die Jungs beim Spielen. Sie hatten noch alles vor sich. Sie werden noch Talente entdecken, von denen sie jetzt noch gar nichts wissen. Die ganzen ersten Male, die ihnen noch bevorstehen, die Freunde, die sie noch kennenlernen und wieder aus den Augen verlieren werden. Was werden Sie wohl mit ihrem Leben anfangen? Was werde ich mit meinem Leben anfangen?

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Es klopfte an der Tür. "Lukas? Machst du auf?" Es war Paulina. "Alles gut? Mein Dad ist  nicht böse auf dich, falls du das denkst." Mit dem Geld vom Sieg hätte sich der Verein neue Duschen leisten können. Ich weiß, dass sie mit dem Geld schon geplant hatten. "Auch, wenn es gerade komisch zwischen uns ist, kannst du mit mir reden." Ich antwortete nicht und hörte nur die morschen Stufen knarren.

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Nach ein paar Minuten der lauten Gedanken, setzte sich Felicia zu mir und lehnte sich an meine Schulter. Ich sagte ihr, dass ich weiter muss. Meine Gedanken holten mich ein. Meine Vergangenheit holte mich ein. Zum Abschied gab sie mir noch ihre Nummer. Wir wussten beide, dass das nichts für immer war. Ich bedankte mich bei ihren Eltern für die Gastfreundschaft, die Arbeit und generell für die tolle Zeit. Ihr Vater gab mir noch 200 Euro. Es war nicht viel für jemanden, der auf Reisen war, lediglich ein paar Übernachtungen mehr, aber ich wusste wie viel Pizza und Pasta sie dafür verkaufen mussten. Auf die Frage wohin ich jetzt gehen würde, antwortete ich mit einem Grinsen im Gesicht: "Roma." Der Abschied fühlte sich endgültig an.

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Vor dem Wettkampf hatte ich mir ausgemalt, wie die Reaktionen sein werden, wenn ich gewinne. Im Becken werde ich noch von den Konkurrenten beglückwünscht. Christian springt vor Freude ins Wasser, die Menge tobt. Dann stehe ich da, in ein Handtuch gewickelt und meine Eltern kommen an mit strahlenden Augen voller Stolz, auch Pauli schiebt sich an ein paar Leuten vorbei und umarmt mich kurz, auch wenn es sich etwas komisch anfühlen würde. Dann noch ein Foto für das Käseblatt mit meinem Pokal und irgendein Scout vom DSV kommt zu mir, stellt sich vor, sagt, dass ich ein grandioses Rennen hingelegt habe und er sich auf jeden Fall bei mir melden wird. Puff. Aus der Traum.

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Die Busfahrt von Florenz nach Rom war der Horror. Defekte Klimaanlage und 33 Grad. Der Schweiß floss literweise aus uns Mitfahrenden. Als Entschädigung bekamen wir kostenlose Getränke. Ungekühlt. Ich nutzte die Fahrt um mir über meine Finanzen einen Überblick zu verschaffen. Ernüchternd ließ ich mich in meinen Sitz fallen. 350 Euro und 52 Cent Bar und 142,11 Euro auf dem Konto. Keine 500 Euro. "In Rom würde eine Nacht auch in dem billigsten Hostel 50 Euro kosten", dachte ich. "Plus Essen, Mobilität und Eintritt?" Ich schaute aus dem Fenster. Ich wollte noch nicht zurück. Ich sah mich schon mit dem Bus am Ortseingang vorbeifahren, links der Fußballplatz, rechts Willys Werkstatt. Dann noch am Riesenhaus der Gottlobs vorbei und an meiner Haltestelle aussteigen.

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4:30 Uhr. Es kochte in mir. Es brannte in mir. Ich konnte nicht still sitzen, nicht liegen. Ich dachte erst, ich hätte eine Panikattacke, aber ich fühlte mich eher so als könnte ich drei Marathons am Stück laufen. Ich war geladen, voller Energie. Ich hatte nichts mehr zu verlieren. Keinen guten Ruf, keine Erwartungen, dich ich noch enttäuschen konnte, keine Beziehung. Mein Kopf fühlte sich leer an, wobei leer das falsche Wort wäre. Er fühlte sich frei an. Ich setzte mich also an meinen Schreibtisch.

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Meine Motivation war am Boden. Mit so wenig Geld macht das Reisen keinen Spaß und seit ich wieder alleine war, dachte ich an Zuhause. Ich hatte keinen mehr, der mich ablenkte. Ich saß vor dem Kolosseum auf einer Bank als sich hinter mir zwei Männer auf Deutsch unterhielten. ?Wir müssen mehr Werbung machen. Die Italiener sollen, wenn sie Deutschland hören, sofort an uns denken.? Es ging um ein Restaurant, das kurz vor der Eröffnung stand. Deutsche Küche mitten in Rom. Deutschland ist wirklich überall. Ich hätte mich umdrehen können, sie ansprechen können und sagen, dass ich ihnen helfen könnte. Ich hätte bestimmt etwas Geld bekommen oder hätte irgendwo schlafen können, aber ich wollte - "Hey Jungs, ich hab gerade gehört, worüber ihr geredet habt. Falls ihr jemanden braucht, der ein paar Flyer verteilt, dann könnte ich auf jeden Fall helfen." Manchmal macht der Körper etwas wofür der Kopf noch nicht bereit ist. Thorsten und Anton waren noch in den letzten Zügen und drückten mir ein paar Stapel Flyer in die Hand und im Gegenzug durfte ich bei Anton und seiner Freundin auf der Couch schlafen. Beim Essen fragten sie mich einmal, was ich denn in Zukunft gerne machen würde. Die Italiener hatten mich das nie gefragt. Aber auf der Straße zu sein, lenkte mich wieder etwas ab. Es war auch immer schön Deutsche zu treffen und ihre Reaktionen zu sehen. "Oh dat is ja schön. Deutsche Kost in Italien." Nach ein paar Tagen, die Eröffnung lief soweit ganz gut, ich konnte da auch noch etwas helfen, wurde ich dann wieder in die Realität zurückgeholt als mir der Mann im Supermarkt zu verstehen gab, dass meine Karte nicht genommen wurde.

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"Hallo Paulina, erstmal tut es mir leid, dass ich vorhin nicht aufgemacht hatte. Ich brauchte einfach meine Ruhe von allem. Mir ist so einiges klar geworden. Wir hatten eine wunderschöne Zeit zusammen und ja ich vermisse dich oft und ja ich schätze, ich liebe dich noch irgendwie, aber ich glaube, die Pause, die wir gerade haben, sollten wir noch  etwas verlängern. Ich will das erste Mal darüber nachdenken was ich wirklich will im Leben, ohne dass du oder meine Eltern oder sonst jemand mir reinredet. Ich werde die nächste Zeit nicht erreichbar sein, aber mach dir keine Sorgen. Mir wird es gut gehen und ich komme schon irgendwann wieder. Pass auf dich auf. - Lukas."

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Geknickt ging ich zu Anton, der mich unbedingt auf eine Party mitschleppen wollte. Doch als ich da war, wurde mir klar, dass die Reise wohl vorbei ist und ich nur noch heute hier bin und das feiern sollte. Etwas betrunken ging ich vor die Tür, um eine zu rauchen. Ich fragte Anton warum er nach Rom ging. Er wusste es selbst nicht genau. "Ich war schon in London, Madrid, Melbourne und irgendwo. Es ist nie für immer und das ist auch gut so. Ich kann immer zurückgehen. In Deutschland ist mein Zuhause und ich suche auch kein neues, ich suche nur das Abenteuer für eine gewisse Zeit." Plötzlich vermisste ich mein Dorf und meine Schwimmhalle. Ich vermisste Mama und Papa. Ich vermisste Pauli und mein Zuhause.

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"Hallo Mama, hallo Papa, ihr braucht nicht nachzuschauen, ich bin nicht in meinem Zimmer. Ich brauche gerade etwas Abstand von allem. Ich weiß noch nicht wo meine Reise hingeht, ob ich Elefanten auf einer Safari beobachte, in Schweden im finstersten Wald in einer Hütte schlafe, ob ich den Jakobsweg gehe oder nur kurz über die Grenze fahre, um zu kiffen. Ich habe keine Ahnung. Und das ist zur Zeit in vielen Dingen so. Ich dachte immer, dass das schlimm sei. Alle haben Ahnung von allem und machen was. Aber ich glaube, es ist gar nicht so schlimm. Ich war bis jetzt immer im Safe Space. Fehler konnte ich keine machen. Dafür bin ich euch dankbar, aber es ist nicht das, was ich gerade brauche. Es ist gerade das Ungewisse, das mich reizt und dem gehe ich jetzt nach. Ich weiß, es lief nicht alles wie geplant, aber eventuell genauso wie es sollte. Und Mama, mach dir nicht zu viele Sorgen. - Lukas."
Ich legte den Brief auf den Küchentisch und mein Handy daneben. Auf dem Weg zum Bus schmiss ich noch den anderen Brief in Paulinas Briefkasten. Dann konnte das Abenteuer beginnen.

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Ich ging in eine Telefonzelle. "Hallo Mama? Ja, ich bin's. Mir geht's gut. Ich bin in Rom. In Rom, Italien. Ja. Ähm, hör mal Mama, ich kann nicht so lange reden. Kannst du mir etwas Geld auf mein Konto überweisen? Es reicht nicht mehr für ein Flugticket. Ja. Ja, ich komm nach Hause."

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