Samstag, 30. Juli 2022
3 - Ein Hauch Frankreich schadet nie
Ein Hauch Frankreich schadet nie

'Ja, ja und ja', antwortete ich auf ihre Fragen. Ja ich komme aus der Stadt, ja ich bin nicht alleine hier und ja ich hole gerne noch etwas zu trinken. Ich glaube, auf die zweite Frage hätte ich korrekter halber mit Nein antworten müssen. Na ja, es war eh so laut in dem Club, dass sie mich wahrscheinlich gar nicht verstanden hat. So ging es mir jedenfalls. Ich beobachtete einfach ihre strahlend weißen Zähne, wie sie mal aufblitzten und mal im Mund verschwanden. Doch eine Sache stach sofort ins Auge. Ihre beiden oberen Schneidezähne waren von oben nach unten waagerecht geriffelt. Der Kontrast mit den Zähnen daneben machte einen sofort stutzig, als ob etwas nicht stimmte. Ich musste an Riffelpommes aus dem Freibad denken. Ja, genauso sah es aus. Bin ich jetzt ein Arsch, weil ich aus dem Club gegangen bin, als ich ihr sagte, dass ich noch ein paar Drinks hole? Please, don't judge me, aber als mir das aufgefallen ist, habe ich sofort das Interesse verloren. Lisa-Maria hieß sie. Da wollten ihre Eltern wohl, dass sie mit dem a aus der Reihe tanzt zwischen den ganzen Lisa-Maries.

Ich sagte Lars, meinem Mitbewohner, nicht mal Bescheid, dass ich ging. Scheiß drauf. Er war mir eh egal. Ich ging die Straße etwas runter. Die frische Luft tat mir gut, ich hatte schon gut getankt. Ich hatte keine Ahnung wie ich jetzt ein Taxi bekommen sollte, setzte mich an den Straßenrand und raufte mir die Haare. 'Ist alles in Ordnung?', hörte ich eine Frauenstimme sagen. Ich drehte mich um. Sie stand direkt hinter mir. Um sie zu sehen, musste ich mich einmal ganz rumdrehen. Als ich es versuchte, fiel ich wegen meines Pegels fast um. 'Oh ganz vorsichtig. Geht schon mal vor, Leute. Ich komme gleich nach', sagte sie zu ihren Freunden, mit denen sie da war. Sie wollten wohl auch in den Club.

Sie setzte sich neben mich auf den Bordstein. 'Hast du auch einen Namen?' Ich habe sie immer noch nicht angeschaut. Ich sah nur aus dem Augenwinkel, dass sie eine Jeans und weiße Sneaker trägt. Sie waren etwas abgetragen, sehr dünne Beine.

'Ja hab ich und du?' Ich weiß nicht, was mit mir los war. Mit dem Pegel konnte ich wohl nur Ja sagen. 'Ich heiße Camille.' 'Es sind die Haare, oder?', fragte ich in einem sehr genervten Ton. 'Ich kann mich, seit ich beim Friseur war, vor Frauen gar nicht mehr retten.' In meiner Erinnerung habe ich alles gut artikuliert, aber in Wahrheit lallte ich vor mir her.

'Oh, sorry, ich wollte dich nicht belästigen. Du sahst so verloren aus.' Damit hatte sie wohl auch recht. Im übertragenen Sinne, in Bezug auf alles, auf mein ganzes Leben. 'Du bist doch auch nur so eine wie jede. Hier und da nett sein oder nur so tun und dann nö.' Mein alkoholgetränktes Hirn machte, was es wollte. 'Was soll ich von einer Frau halten, die sich einfach so zu einem fremden Typen setzt? Das machst du doch bestimmt bei jedem. Ist das nicht etwas-' Schlampig konnte ich zum Glück nicht aussprechen. Es wäre auch unfair gewesen und absolut falsch. Eine nette junge Frau fragt, ob sie einem betrunkenen Typen helfen kann. Warum bin ich nur so ein Arsch, warum?!?! 'Wer hat dir bloß so sehr dein Herz gebrochen?', sagte sie mir pur ins Gesicht. Ich spürte, wie ihr Blick mich durchdrang. Jetzt wollte ich sie aus Scham nicht mehr ansehen.

Ich stand auf und wollte eigentlich darauf noch etwas sagen, aber es kam nichts richtig raus. 'Weißt du, äh, weißt du, also.' Ich ließ es gut sein und ging nach Hause. Da schickte mir Gott einen Engel und ich würdigte ihn keines Blickes. Ich muss endlich wieder klarkommen.

Jetzt, wo die Story ein paar Tage her ist, habe ich darüber ein kleines Gedicht geschrieben. Es ist mein erstes, also nicht zu viel erwarten, aber ich finde, dass es den Abend ganz gut zusammenfasst.



Die Unbekannte vom Bordstein

Verloren am Bordstein sitzend, sprach sie mich an
Ich erkannte, dass es eine Frau ist, an ihrem Klang.
Fürsorglich ließ sie ihre Freunde für mich warten,
Ich aber starrte nur auf ihre Schuhe und Jeans, keine großen Marken.
Ich stellte mich nicht vor und war grundlos doof zu ihr,
Dankbar hätte ich sein sollen, auf einer Skala von 10 bin ich nur 'ne Vier.
Ich schaute sie nicht an, ich wollte mich nicht verlieben,
Keine Lovestory mit Sex, Hochzeit und Kinderkriegen.
Ich flüchtete also ängstlich und eilig vor Camille,
Im Nachhinein schade, denn ein Hauch Frankreich schadet nie.

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