Montag, 12. Dezember 2022
7 - Dänemark ist für mich kein Urlaub
Dänemark ist für mich kein Urlaub

Es klopfte zweimal an der Tür bis sie ohne ein „Herein“ von mir, aufging. „Ich fahr dann gleich“, sagte Lars, weil er wohl dachte, es würde mich interessieren, was er so tut. „Okay, und?“, erwiderte ich nur. „Nach Dänemark.“ Er wartete auf eine Antwort oder wenigstens auf eine Reaktion von mir. „Mit Toni. Und ihrer Familie. Für eine Woche.“ Ich drehte mich mit meinem Stuhl zu ihm um und sagte: „Nach Dänemark? Um was zu machen? Urlaub?“ Lars hatte keine Ahnung was er mit dieser Aussage anfangen sollte und ich fuhr herablassend fort: „Dänemark ist für mich kein Urlaub.“ Ich wusste selbst nicht, warum ich das gesagt hatte, aber irgendwie stimmte es doch. Alles, was du in Dänemark haben kannst, kannst du auch hier in Deutschland haben. Warum dafür verreisen? Die Aussage triggerte ihn und in einem etwas genervten Ton sagte er: „Ach ja. Und wo fährst du hin?“ Ich konnte ihn nicht gewinnen lassen. Diese Genugtuung konnte ich ihm nicht geben. Natürlich kann ich nicht verreisen und schön Urlaub machen in einem 5 Sterne Hotel, direkt am Strand in einem exotischen Land mit mehr Essen als die Einheimischen. „Wien“, sagte ich, stand auf und packte meinen Koffer.

Es war das erste Mal, dass ich einen Nachtzug nahm. Die Fahrt war auch nicht viel anders als am Tag, denn meiner Meinung nach, können nur Psychopathen in einem Bett schlafen, das sich bewegt. Am Bahnhof holte mich mein Cousin Julian ab, dem ich geschrieben hatte, ob ich nicht mal spontan vorbei kommen kann, als Lars mein Zimmer verlassen hatte. Ich hätte Lars natürlich auch nur sagen können, dass ich in Wien war ohne wirklich hinzufahren, aber ich wollte ohnehin mal rauskommen und nicht die ganze Zeit mein Handy anstarren und auf eine Antwort von Clara warten.

Julian ist cool. Er hat lange nach hinten gekämmte Haare und trägt einen Mix aus vintage, schicken und absolut trashigen Klamotten. Aber ihm steht es. Er trägt es mit Selbstvertrauen. „Da hat der Zug tatsächlich meinen kleinen Cousin hergetragen.“, sagte er mit seinem österreichischen Akzent, den ich ja persönlich sehr cool finde. Er ist der Sohn vom Bruder meines Vaters und wir hatten schon immer sehr wenig Kontakt aufgrund der Entfernung.

Seine Wohnung war groß. Zu groß für eine Person. Ich hatte ein eigenes Zimmer und richtete mich erstmal ein. Als ich fertig war, saß Julian oberkörperfrei am Esstisch. Er war so dünn, dass manche Leute denken würden, er wäre muskulös, weil man seine Muskeln sieht, aber er war nicht trainiert. Ein paar Strähnen seiner Haare fielen mit dem Fortschreiten des Tages nach vorne, eine Kippe steckte hinter seinem rechtem Ohr und eine fancy Sonnenbrille lag auf dem Tisch. Er drehte einen Joint. „Rauchst du?“, fragte er mich. „Nur Zigaretten. Also die eigentlich auch nicht mehr.“, antwortete ich. Ich kam noch nie mit härteren Drogen als Alkohol oder Tabak in Berührung. „Wir haben heute einen Tisch reserviert und ich habe ein Blinddate für dich arrangiert. Du bist doch alleinstehend oder?“ Ich liebte diesen Akzent und wie er Wörter benutzte, die aus der Zeit gefallen sind.

Mit „Wir“ meinte er seine Freundesgruppe. 8 Leute und ich saßen in einem schicken Restaurant, in dem ich mich völlig fehl am Platz fühlte. Die Gruppe war bunt gemischt. Einer war mal Tennisspieler, der wegen einer Verletzung, als er 18 war, aufhören musste. Er galt als Jahrhunderttalent und als die große Hoffnung Österreichs. Dann gab es noch einen Jurastudenten, der nebenbei als Barkeeper in einer schmierigen Bar arbeitete und aussah wie ein Herzensbrecher. Die älteste war eine Trompetenspielerin, die in einem richtig heftigen Orchester spielt, aber das Kurioseste an ihr, war, dass sie mit ihrem Stiefvater zusammen war. Die vierte in der Runde war eine französische Ballerina, die gerade in Wien für eine längere Zeit spielte. Eine sehr grazile Gestallt und ähnelt am ehesten einem Zahnstocher. Sie sagte bei der Vorstellung, dass sie 27 Jahre alt sei und jeder wusste, dass sie dieses Alter schon seit 5 Jahren sagt. Ein Typ war noch Archäologe. Auf die Frage, wie er dazu kam, sagte er, dass er sich für Architektur eintragen wollte, sich aber auf der Website verklickt hatte und jetzt seinen Job liebt. Dann gab’s da noch Julian, von dem ich keine Ahnung hatte, was er beruflich macht und einen Schauspieler, der richtig heftig auf die Ballerina geierte. Ich glaube, mit dem hatte ich kein einziges Wort gewechselt.

Wir waren mit Abstand die Lautesten, aber es störte niemanden. Die Kellner kannten die Gruppe und alles war locker und familiär. Gina, mein Blinddate, die letze der 8er Gruppe, war der Hammer. Wir verstanden uns sofort gut. Sie war auch aufgeregt, weil Julian ihr so viel von mir erzählt hatte, obwohl er eigentlich nichts von mir wusste, so wie ich von ihm auch nicht. Schon komisch, dass wir ein Grundvertrauen uns gegenüber empfunden hatten, nur weil uns mal gesagt wurde, dass wir der gleichen Blutlinie angehören. Ginas Lachen war sehr herzlich. Sie strahlte über das ganze Gesicht und ich kann es nicht oft genug sagen, aber dieser Akzent. Ich schmolz dahin. Wenn sie rausgeht, ist sie immer die Schönste auf der Straße.

Der Abend schritt weiter fort, die leeren Weinflaschen wurden nach und nach abgeräumt und durch Neue ersetzt. Ich saß da, einen Arm um Ginas Hals und meine Hand auf ihrer Schulter, als wären wir schon ewig zusammen. Wir sprachen den ganzen Abend und nahmen nur sporadisch am Tischgespräch teil. Ab und an hörte man mal etwas out of Context, wie z.B., dass einer meinte, er und seine Freundin hätten eine Motorradtour durch Europa gemacht und sie ist mit dem Auto hinterher gefahren. Ich war aber so glücklich, dass ich diese „Motorradtour“ nicht mal verurteilen konnte. Gina trug eine Kette mit einer blauen Lasche von einer Getränkedose als Anhänger um den Hals. Man musste sofort hingucken und das nicht nur, weil sie bis zu ihrem Dekolleté reichte. Im Gegenteil, die Lasche war der eigentliche Blickfang und lies ihre Brüste unwichtig erscheinen.

Sie studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Die gleiche Uni, die Hitler abgelehnt hatte. Als ich dann meinte, dass ich Literatur studiere, meinte sie: „Oh ein Autor. Was schreibt’s denn?“ „Texte, auch mal ein Gedicht, ich weiß noch nicht.“ Ich wollte nicht, dass sie weiß, dass ich einen Blog schreibe und lenkte das Gesprächsthema sofort wieder auf sie. Menschen wollen immer gerne über sich selbst reden und mit zwei, drei gezielten Fragen, kann man so einen ganzen Abend füllen.

Als dann eine allgemeine Aufbruchsstimmung aufkam und wir uns als Gruppe noch vor dem Lokal zusammenstellten und keiner wusste, ob es heute noch weiter ging, hakte sich Gina mit ihrem Arm an meinem ein und gab mir zu verstehen, dass wir heute noch nicht auseinander gehen würden. Julian gab mir noch einen Schlüssel und wünschte noch einen schönen Abend. Alle verließen uns. Gina schaute mich mit ihren großen Manga-Augen, wie Garfield seine Lasagne an, stellte sich auf Zehenspitzen und gab mir einen Kuss. „So fühlte sich das an“, war mein erster Gedanke. Es war lange her, dass ich so weiche Lippen spürte. Sie schmeckte nach Kokos und roch auch so. Nein, sie roch nicht, sie duftete und das nach Kokos. Gina schien sehr locker zu sein. Fast schon frei. Egal was andere von ihr denken würden und was die Zukunft bringen wird. Sie ist so eine, der es egal ist, ob sie später mal ei eigenes Haus hat oder wie viel Geld sie hat.

Wir kannte uns seit knappen 3 Stunden und jetzt waren wir auf dem Weg zu ihrer Wohnung, wobei wir immer wieder Pausen machen mussten, weil wir knutschten. Sie besaß eine einzigartige Ausstrahlung. Ihre Wohnung war eine schöne Altbauwohnung mit hohen Decken und auch viel zu groß. Platz spielt in Wien wohl keine Rolle und Geld sowieso nicht. „Du wohnst in einer WG?“, fragte ich sie, weil ich dachte, dass man sich das als Studentin auf gar keinen Fall leisten konnte. „Ne, ist meine. Alleine.“ Während ich mich umschaute, holte sie etwas zu trinken. Sie hatte viele Kameras, alte, sehr alte, neue und Bilder und Zeichnungen überall an den Wänden. Manche waren eingerahmt, manche einfach mit Klebeband an die Wand geklebt oder auf riesigen Stapeln liegend. Ihre Wohnung hatte einen sehr kreativen Vibe. Man wollte selbst sofort loslegen und etwas erschaffen. Ihre Einrichtung war auch einfach schick und künstlerisch. Ein kleiner Stuhl stand am Fenster. Er sah so zufällig platziert aus und führte keinen Zweck aus. Gina setzte sich auf die Couch und beobachtete mich. Ich bemerkte es irgendwann und spielte ihr dann vor, dass ich nicht merkte, wie sie mich beobachtet, weil mir ihre Blicke gefielen. „Kannst du zeichnen?“, fragte sie mich, während ich vor einer eingerahmten Bleistiftzeichnung stand, auf der ein Hase seinen eigenen abgeschnittenen Kopf in der Hand hielt. Die Detailgenauigkeit war unglaublich präzise. Eine Präzision, in der man sich verliere konnte. „Ich kann so zeichnen wie ich eben zeichne, genauso wie ich singen kann, wie ich singe. Ich würde sagen, dass ich beides nicht gut kann.“ Die Antwort reichte ihr um ein Stativ aufzubauen, auf dem sie einen großen weißen Block Papier aufstellte und mir einen Bleistift in die Hand drückte. „Ich soll etwas malen?“ „Zeichnen.“, antwortete sie. „Dann musst du aber auch etwas für mich machen.“ Sie war neugierig, worauf ich hinaus wollte. „Und was?“ Ich glaube, ich hätte wirklich alles sagen können. „Ich zeichne und du schreibst etwas.“ Während des Gesprächs kam Gina mir immer näher, doch als ich mit meinem Satz fertig war, drehte sie sich blitzartig um und schrieb etwas auf einen Zettel. Ein paar Sekunden später knickte sie den Zettel und streckte ihn in meine Richtung. Als ich ihn nehmen wollte, zog sie ihn wieder zu sich und sagte: „Erst lesen, wenn du wieder in Deutschland bist.“ Ich nickte und nahm den Zettel. An diesem Abend kam ich allerdings nicht mehr zum Zeichnen. Ich sag mal so, wir beide fanden einfach, dass wir richtig super Küsser waren.

Julian saß am nächsten Morgen wieder am Esstisch als ich in die Wohnung kam. Seine Haare, wie die von Richard David Precht und die Sonne, wie sie durch die halbgeöffnete Jalousien schien, machte ihm ein gestreiftes Muster am ganzen Körper. „Und bist du schon erfolgreich?“ Ich verstand nicht, was er meinte und dachte, er meinte, ob ich erfolgreich war, im Sinne von, ob ich, naja ihr wisst schon und antwortete ihm: „Wir hatten Spaß, danke.“ „Aber hattest ihr auch Sex, mein Lieber?“, hakte er nach. „Nein, wieso?“, sagte ich zögerlich. Es war mir etwas zu persönlich. Er schmunzelte und lachte in sich rein. „Gina lässt sich Zeit. Hätte mich schon gewundert. Das war aber nicht immer so. Hat sie etwas über ihre Vagina erzählt?“ Ich stand verwirrt in der Küchentür. „Julian, was willst du mir sagen?“ Er zeigte auf den Platz vor sich und ich setze mich. „Gina, Cousin“, fing er an, als ob er mir eine Geschichte erzählen wollte, „Gina hat eine magische Vagina.“ Ich wusste nicht genau wie ich reagieren sollte, doch fing instinktiv an zu grinsen, weil mir hier ein 28-jähriger erwachsener Mann etwas über eine magische Vagina erzählen wollte. „Kann sie Wünsche erfüllen oder was ist so magisch an ihr?“ Er erzählte weiter: „Nein Cousin, du verstehst nicht. Alle Kerle, die mit ihr Sex hatten, wurden erfolgreich, in dem was sie machen. Einer verkaufte seine Firma an Microsoft, der andere bekam die oberste Stelle in seinem Supermarkt und wieder einer ist der aufstrebendste Politiker Österreichs.“ Er sagte es mit einer Ernsthaftigkeit, die keinen Spielraum für Zweifel lies. „Du verarschst mich doch gerade oder?“ „Nein Cousin. Erst war es eine kleine Scherzelei in unserer Gruppe, doch dann fing sie selbst an, es zu glauben und achtet seitdem sehr darauf mit wem sie schläft.“ Immer noch verdutzt saß ich ihm entgegen. „Sie glaubt es selbst?“ Julian nickte langsam mit einer großen Bewegung, stand dann auf und verlies den Raum.

2 Tage später traf ich mich wieder mit Gina. Wir waren in einem Park und in so einem alten Gebäude, das typisch Wien ist, keine Ahnung wie das heißt. Es war schön, aber alles wäre noch schöner mit weniger Menschen. Gina fragte mich nie, wie lange ich noch bleibe, Julian auch nicht, spielt hier etwa Platz, Geld und Zeit keine Rolle? Bin ich noch auf der Erde? Es kam mir jedenfalls wie eine andere Welt vor.

Im Park machten wir ein kleines Picknick, küssten uns und redeten. Sie war so geistreich, was mich überraschte, weil sie äußerlich viel zu hübsch aussah, um zusätzlich noch schlau zu sein. Verdammte Vorurteile. Ich sah wie Gina, die silberne Lasche ihrer Dose löste und in ihre Tasche steckte. „Was machst du?“ „Ich habe noch keine Silberne. Und ich will etwas haben, was mich an dich erinnert, wenn du wieder weg bist.“ Zeit spielt also doch eine Rolle in dieser Welt. Ich sagte ihr noch, dass sie so eine Sorglosigkeit ausstrahlt und ich das Gefühl habe, dass sie sich nie richtig Gedanken um die Zukunft machen würde, um Geld und dass es ihr bestimmt egal sein würde, ob sie mal ein Haus besitzen würde. „Die Wohnung. Die gehört mir. Mein Vater ist Josef Duperret.“, sagte sie zu mir, als müsste ich wissen wer das war. Julian erzählte mir später, dass er einer der größten Immobilienmogule Wiens sei. Also hatte ich recht, Gina machte sich keine Sorgen um Geld.

In ihrer Wohnung zeigte sie mir ein paar neue Zeichnungen der letzten Tage. Alles sehr durchmischt. Mal wage Zeichnungen, mal eine perfekt gemalte Landschaft, wofür jeder normale Mensch Jahre oder Jahrzehnte brauchen würde. Ihre Kreativität hatte keine Grenzen. Gina zeigte mir auch ein paar Designs von Kleidern und Hosen, weil sie überlegt etwas mit Mode machen zu wollen. Dann verschwand sie im Bad und kam nackt wieder raus. Nur die Kette mit der silbernen Lasche trug sie noch. Gina wollte, dass ich sie nackt malte. Das heißt, dass ich auch nackt sein sollte. Ich handelte noch heraus, dass sie ihre Kette tragen durfte und ich meine Unterhose. Mein Selbstvertrauen war noch nicht so hoch, stundenlang nackt herumzustehen.

Heute roch sie nach Rauch. Die ganze Wohnung auch, was auch daran lag, dass wir beide in der Wohnung eine nach der anderen anzündeten. Ich mein, ihr gehört die Wohnung, also ist es doch egal und ja, ich habe wieder geraucht. Gina ging zu dem Fenster, an dem der Stuhl stand, der so zufällig platziert aussah und stellte sich drauf. Das Licht von draußen machte einen sehr harten Schatten auf Ginas Körper und Gesicht. Eine Seite von ihr war komplett in Licht gehüllt und die andere, die nicht zum Fenster zeigte, war stockfinster. Wir hatten auch kein anderes Licht an, außer zwei fast abgebrannte Duftkerzen, deren Vanille Duft nicht gegen den Gestank des Rauchs ankamen.

Ich fing an zu zeichnen und wir redeten gute zwei Stunden kein Wort. Sie stand einfach auf dem Stuhl, ohne eine Pose zu machen. So pur, selbstbewusst und ohne Scham. Als meine Zeichnung fertig war, holte ich sie zu mir. Gina betrachtete es ein paar Minuten lang und sagte dann: „Du bist ein waschechter Künstler.“ Das Bild zeigte eine Silhouette einer nackten Frau, doch nicht alles stellte ich detailliert dar. Vieles war nur angedeutet. Ihr Bauch war detailliert, die Formen ihrer Brüste waren erkennbar, doch die Brustwarzen waren kaum existent. Ihre Arme und Beine waren einfach gezeichnet, die Lippen, Haare und Augen wieder sehr detailliert, eine Nase nur angedeutet. Der Blickfang war aber die Kette mit ihrer silbernen Dosenlasche, die zwischen ihren Brüsten hing. „Ich habe versucht dich so zu zeigen, wie ich dich sehe.“, sagte ich. „Warum hast du da nichts gemalt?“ Gina zeigte auf den Bereich der Vagina. „Es…“, fing ich an, „es spielte keine große Rolle für mich.“ Sie hatte plötzlich einen etwas ernsteren Ton aufgelegt und sagte: „Kannst du irgendwas besonders gut?“ Verwirrt: „Ich weiß nicht.“ „Julian hat dir bestimmt davon erzählt, oder?“ Ich konnte nicht glauben, dass sie darauf hinaus wollte und ich spielte den Ahnungslosen. „Was? Ich weiß nicht-“ „Von meiner Vagina. Das sie magisch ist.“ Ich konnte nicht glauben, dass sie selber so von ihrer Vagina redete und musste innerlich lachen. „Doch, jetzt wo du es sagst. Das hat er erwähnt.“, entgegnete ich mit sarkastischem Unterton. „Es stimmt.“, sagte sie und flüsterte mir dann ins Ohr: „Und ich möchte, dass du erfolgreich bist.“ Mit diesen Worten nahm sie meine Hand und wir gingen ins Schlafzimmer. Ich würde gerne in allen Details beschreiben, was sich dort zutrug, allerdings wäre das nicht christlich und nach dieser Nacht, bleibt mir nicht anderes übrig als an Gott zu glauben.

Wieder ein paar Tage später, ich weiß wirklich nicht wie viele, wie gesagt Zeit spielt in Wien keine Rolle, kam ich wieder zu Julian und er saß wieder genauso da, wie ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, als hätte er sich die letzten Tage nicht bewegt. „Du hast es geschafft nicht wahr?“, war sein erster Satz als ich in die Tür trat. Ich nickte nur verlegen. „Glückwunsch, Cousin. Ich hoffe, es ist okay, dass ich dich die nächsten Tage alleine lasse. Ich will meine Freundin besuchen.“ Seine Freundin wohnte in Linz. Das ist auch irgendwo in Österreich. Ich wusste gar nicht, dass er eine Freundin hatte oder was sein Job war. Interessiere ich mich so wenig für meine Mitmenschen?

Die nächsten Tage waren leider etwas ernüchternd. Gina antworte auf keine meiner Nachrichten und auch bei einem Treffen der Gang war sie nicht da. Ist das ihre Masche? Einen Typen erfolgreich ficken und ihn nie wieder sehen? Der eine Abend mit der Gang war trotzdem witzig. Sie nahmen mich auch ohne Julian gut auf. Ein Kerl hieß Qualle, warum auch immer und erzählte mir einen Witz, den er von allen Anwesenden selbst am witzigsten fand. „Was sagt ein Serienkiller zu Mozart? Auf der Kugel steht dein Name.“ Hä?

Als Julian wieder da war, gingen wir mit der Gang bowlen. Gina kam auch und begrüßte mich als letztes mit einer herzlichen Umarmung. Danach nahm sie direkt meine Hand und in ihren Augen konnte man: „Es tut mir leid“, ablesen. Ich war richtig glücklich. Beim Bowlen machte mir keiner etwas vor und ich war mit Abstand der Beste. Gina setzte sich zwischen den Runden auf meinen Schoß und es wirkte alles sehr vertraut. Mein Sieg wurde von allen anderen auf meine deutschen Gene abgeschoben. Ich ärgerte sie zurück und nannte sie Österreicher, worauf sie dann immer sagten, dass sie Wiener sind und keine Österreicher. Ich liebte die alle für ihren Humor. Nach dem Essen, setzten sich Gina und ich auf eine Bank. Es war schon echt kalt, trotzdem hab ich ihr meine Jacke um die Schultern gelegt. „Ich wollte mich noch entschuldigen. Ich war irgendwie doof.“, sagte Gina. Mit diesem Akzent konnte ich leider nicht wütend auf jemanden sein. „Ich-“, sagte sie weiter. „Ich habe mich mit einem anderen getroffen und wollte mit ihm schlafen. Doch als wir bei mir waren, schaute er sich die Bilder und Zeichnungen an. Er blieb vor deiner Zeichnung am längsten stehen und lobte mich dafür, wie künstlerisch das Bild sei. Da merkte ich, wie besonders du bist und dass ich dich irgendwie sehr mag. Wenn nicht sogar liebe., keine Ahnung. So kitschig.“ Hier ein kleines Abbild meiner Gedanken in der Situation: „Was? Du- Ich. Was? Aber?! Und dann? Fuck! Keine Ahnung. Echt?! Hä??!“ Ich zögerte mit meiner Antwort und sagte dann sehr durchdacht. „Ich liebe dich nicht, Gina. Du bist toll, wunderschön und klug, aber-“, sie stand auf und ging, mit meiner Jacke, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Das war wahrscheinlich der ehrlichste Moment meines Lebens.

Julian meinte, nachdem ich ihm die Geschichte erzählt hatte: „Aber Cousin, sie hat dich erfolgreich gefickt, freu dich darüber.“ Diese Worte waren ein schwacher Trost. Ich packte meine Sachen zusammen, um zurück in den Alltag zu fahren. Das nächste Treffen der Gang sagte ich ab und ich fragte Julian auch nicht, ob Gina da war. Ich fühlte mich verletzt, obwohl ich ihr ja den Korb gegeben hatte. Am Abend vor dem Tag, an dem ich zurückfahren wollte, bekam ich dann eine Nachricht von Gina. „Komm heute vorbei, bitte.“ Ich überlegte, ob ich sie anlüge und schreibe, dass ich wieder daheim bin und es mir leid tut, wie alles geendet ist, doch keine Stunde später stand ich vor ihrer Tür. Sie begrüßte mich nicht. Es duftete nach Vanille. Kein Rauchgestank mehr. Neue Duftkerzen brannten ab. Gina trug nur einen seidenen Bademantel, den sie nicht mal zugemacht hatte. Ich bin ehrlich, es gibt schlimmere Begrüßungen.

Im Wohnzimmer bat sie mich, ihr mit ihrer Kette zu helfen. Es war ein abgekartetes Spiel. Ich half ihr und schloß die Kette an ihrem Hals zu, dann drehte sie sich um und der silberne Anhänger schimmerte in dem gedämmten Licht. Auf dem Tisch lagen schon ein paar Kameras vorbereitet. „Ich will, dass du mich fotografiert, wenn ich es dir sage“, sagte sie als ich die Kameras sah. Das war die zweite Hitler-Parallele, erst etwas befehlen und dann abdrücken. Sie war heute kurz angebunden und setzte sich lasziv in Pose. „Ich möchte eine Collage aus den Bildern machen. Kann ja sein, dass es das ist, was du gut kannst.“ Ich wechselte hin und wieder die Kameras und sie ihre Pose. Bei einer Pose zögerte ich mit dem Abdrücken. Sie saß breitbeinig auf einem Stuhl. „Willst du wirklich, dass jeder das sehen kann?“, dachte ich. Als könnte sie meine Gedanken lesen, warf sie mir einen Blick zu, der sagte: „Ja, ich will das. Mach das Foto.“

In einer kurzen Pause, trank sie einen Schluck Wasser, ich stand hinter ihr und strich mit zwei Fingern ihren Rücken entlang. Am Steißbein fühlte ich diese kleinen Härchen. Das war eigentlich immer der Ablauf nach dem Sex. Doch sie wollte in dem Moment diese Nähe nicht und ging ins Treppenhaus. Es war mir unangenehm dort Fotos zu machen, quasi in der Öffentlichkeit, aber keiner sah uns. Als wir fertig waren, sagte Gina: „Danke. Du kannst gehen, wenn du willst“, und ging ins Schlafzimmer. Ich wollte aber nicht gehen und folgte ihr. Ein paar Minuten später streichelte ich wieder ihren unteren Rücken, ihr Steißbein und fühlte wieder die kleinen feinen Härchen.

Später in der Nacht wurde ich mit einem Tritt in die Hüfte geweckt. Mit zwei weiteren Tritten wurde ich aus dem Bett geworfen. „Du Wichser, du Hurensohn! Wer ist sie?“ Ich hatte keine Ahnung wovon sie redete. „Wer ist Clara?“, sagte sie und hielt mein Handy in der Hand, auf dem ein Anruf von Clara gerade einging. „Liebst du sie?“ Gina schrie mich an und ich saß noch immer nackt auf dem Boden. Dann warf sie mich mit meinen Klamotten ab und scheuchte mich penetrant in Richtung Tür, die dann auch vor meiner Nase in die Angeln fielen. Genau jetzt kam natürlich ein junges Paar durchs Treppenhaus. Ich zog mich an und ging im strömenden Regen zu Julians Wohnung. Meine Jacke, die sie den einen Abend mitnahm, habe ich nie wieder gesehen.

Mein Korb nagte wohl noch sehr an Gina. Sie ist so eine, die, glaube ich, noch nie richtig Zurückweisung erfahren hat und mit dem letzten Treffen wollte sie mich doch noch für sie begeistern. Nur für ihr Ego. Der Satz: „Du hässlicher Wichser.“, nagte jetzt an mir. Am nächsten Morgen verabschiedete ich mich von Julian und bedankte mich für alles. Ich hatte ganz vergessen Clara zurückzurufen und konnte auch noch nicht darüber nachdenken, was es bedeutet, dass sie sich endlich gemeldet hatte. Zuhause angekommen, war Lars extrem abgefuckt. „Warum antwortest du denn nicht auf meine Nachrichten? Wo warst du die letzen 3 Wochen?“ 3 Wochen war ich weg. Wow. Kam mir kürzer vor. Aber kaum war ich wieder hier, erfuhr ich die traurigste Lektion des Reisens: Dass sich nichts, rein gar nichts ändert, wenn man wieder Zuhause ist und alles wie vorher ist. Ich wünschte mir wieder einen Strick und einen anderen Mitbewohner.

Ein paar Tage nach meiner Rückkehr fand ich in meinem Rucksack noch den Zettel, auf dem Gina ihren Text schrieb. Ich stellte mir vor, wie sie auf dem kleinen Stuhl am Fenster saß, ihre Kette mit der silbernen Lasche anfasst und diesen Text mit ihrem süßen österreichischen Akzent liest. Es sollte das vorletzte Mal sein, dass ich an sie dachte.


Die Farben des Jänners

Im Winter ist es kalt. Dem Atem wird ein Leben geschenkt. Der Schnee ist weiß.
Verführerisch seine Spuren dort zu hinterlassen.
Ein neues Jahr. Eine neue Chance für die, die es noch nicht geschafft haben.
Eine neue Chance, seine eigenen Spuren zu hinterlassen.
Also hoch auf die Beine. Ignoriere die Stoppschilder des Lebens, die Blicke der anderen.
Augen auf die Straße, auch wenn es dunkel ist.
Versagt hat man erst, wenn man aufgibt und die Schuhe in den Keller stellt.
Im Frühling schmilzt der Schnee, im Sommer ist nicht mehr an ihn zu denken, aber die Spuren, sie können bleiben, in der dunklen Erde, wenn sie tief genug sind.

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